„Beim Lesen kommen viele wichtige Mechanismen zum Tragen, über die wir nicht unbedingt nachdenken. Dazu gehört auch das Wissen, wie wir unsere Augen auf der Seite bewegen oder wie wir unser Arbeitsgedächtnis nutzen können, um Wörter zu einem zusammenhängenden Satz zu verbinden“, erklärt Seniorautorin Daphné Bavelier von der Universität Genf.
Ein Kind und sein Vogel
„Es ist bekannt, dass diese Fähigkeiten, wie beispielsweise das Sehvermögen, die generelle Aufmerksamkeit, das Arbeitsgedächtnis und die kognitive Flexibilität, durch Action-Videospiele verbessert werden“, sagt Pasqualotto. Das Spiel „Skies of Manawak“ wurde gezielt so entwickelt, diese unterschiedlichen Hirnfunktionen, die als exekutive Funktionen bezeichnet werden, durch zehn verschiedene Mini-Games zu trainieren.
„Das Universum des Spiels ist eine alternative Welt, in der das Kind von seinem Raku, einer fliegenden Kreatur, begleitet wird. Sie müssen verschiedene Missionen erfüllen, um weiterzukommen und so Planeten zu retten“, erzählt Pasqualotto. Die Entwickler haben dabei speziell darauf geachtet, dass das die Missionen gewaltfrei und somit für Kinder geeignet sind.
Sechs Wochen lang zocken
Für ihre Studie rekrutierten die Forscher 150 italienische Schulkinder in einem Alter zwischen acht und zwölf Jahren. Eine Hälfte der Kinder spielte für sechs Wochen zwei Stunden pro Woche das Spiel „Skies of Manawak“. Die andere Hälfte, die Kontrollgruppe, bekam für den gleichen Zeitraum das etablierte Lernspiel „Scratch“, das Kindern die Grundzüge des Programmierens beibringen soll. Beide Spiele zielen grundsätzlich darauf ab, die exekutiven Funktionen des Gehirns zu trainieren.
„Zu Beginn haben wir die Fähigkeiten der Kinder beim Lesen von Wörtern, Nicht-Wörtern und Absätzen, und außerdem ihre Aufmerksamkeitskontrolle untersucht“, erklärt Bavelier. Nach der sechswöchigen Spielphase wurden diese Fähigkeiten erneut getestet.
Deutliche Verbesserungen
„Wir haben eine siebenfache Verbesserung der Aufmerksamkeitskontrolle bei den Kindern, die unser Action-Videospiel gespielt haben, im Gegensatz zur Kontrollgruppe festgestellt“, so Pasqualotto. Das Team konnte bei den „Skies of Manawak“-Spielern außerdem eine deutliche Verbesserung der Lesegeschwindigkeit und -genauigkeit feststellen – bei den Kindern, die „Scratch“ gespielt haben blieben diese Steigerungen aus. Erwähnenswert ist außerdem, dass sich die Lesefähigkeiten der Kinder verbessert hat, obwohl das Spiel selbst keinerlei Leseübungen beinhaltet.
„Besonders interessant an der Studie ist auch, dass wir drei weitere Bewertungstests sechs, zwölf und 18 Monate nach dem Training durchgeführt haben. Jedes Mal schnitten die trainierten Kinder besser ab als die Kontrollgruppe. Das beweist, dass die Verbesserungen nachhaltig waren“, fügt Pasqualotto hinzu. Die Wissenschaftler konnten bei der Actionspiel-Gruppe auch eine langfristige Verbesserung ihrer Schulnoten im Fach Italienisch finden – im Fach Mathematik aber nicht.
Je nach Sprache unterschiedlich
Im nächsten Schritt soll das Videospiel auch auf Deutsch, Französisch und Englisch übersetzt und der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt werden. Ob die Ergebnisse von Pasqualottos Studie auf die anderen Sprachen übertragbar sind, ist allerdings unklar.
„Beim Lesen ist das Entschlüsseln der Buchstaben je nach Sprache unterschiedlich schwierig“, erklärt Co-Autorin Irene Altarelli. „Italienisch beispielsweise ist sehr transparent: Jeder Buchstabe wird ausgesprochen. Undurchsichtigere Sprachen, wie Englisch oder Französisch rufen andere Lernherausforderungen hervor. Hier muss man Ausnahmen lernen und erfahren, wie sich ein unterschiedlicher Kontext auf die Aussprache auswirkt.“ Da im Deutschen die meisten Wörter so ausgesprochen wie geschrieben werden, könnten die Chancen, dass die übersetzte Version von „Skies of Manawak“ auch hierzulande Schülern helfen kann, nicht schlecht sein. (Nature Human Behaviour, 2022; doi: 10.1038/s41562-021-01254-x)
Quelle: Universität Genf
18. Januar 2022
- Jan Fleischer