Zeitigere Diagnose: Ein bei Neugeborenen routinemäßig durchgeführter Hörtest könnte bei der Früherkennung von Autismus helfen. Denn Kinder, die später autistische Störungen entwickeln, zeigen darin schon kurz nach der Geburt Auffälligkeiten, wie nun eine Studie belegt. Demnach reagiert das Stammhirn signifikant verzögert auf die Testtöne. Dies könnte eine gezielte Förderung betroffener Kinder ermöglichen, noch bevor diese Verhaltensauffälligkeiten zeigen.
Etwa zwei bis drei Prozent der Kinder sind von einer autistischen Entwicklungsstörung betroffen. Oft haben sie Probleme mit der sozialen Interaktion und reagieren auf Reize überempfindlich, in schweren Fällen leiden sie unter einer geistigen Behinderung. Das Problem: Weil sich die Verhaltensauffälligkeiten meist erst im Alter von zwei bis drei Jahren manifestieren, wird Autismus oft später erkannt – was eine gezielte Förderung und Behandlung erschwert.
Wissenschaftler suchen daher schon länger nach Möglichkeiten, Autismus frühzeitiger erkennen zu können. So scheinen beispielsweise ein veränderter Pupillenreflex und auch Auffälligkeiten im Volumen der Gehirnflüssigkeit erste Vorzeichen zu sein.
Routine-Hörtest bei Neugeborenen
Einen weiteren, einfachen Weg der Früherkennung könnten nun Oren Miron von der Harvard University of Boston und seine Kollegen gefunden haben. Für ihre Studie hatten sie die Ergebnisse eines Standard-Hörtests ausgewertet, dem viele Neugeborenen routinemäßig unterzogen werden. Dabei werden dem Baby Elektroden auf den Kopf geklebt, die die Reaktion des Hirnstamms auf eine Reihe von Testtönen ableiten und aufzeichnen.
Um herauszufinden, ob dabei möglicherweise schon Autismus-spezifische Anomalien auftreten, werteten die Forscher die Testresultate von knapp 140.000 Neugeborenen in Florida aus. Bei 321 dieser Kinder war später im Vorschulalter Autismus diagnostiziert worden. Miron und sein Team verglichen daher, ob es bei diesen Kindern schon kurz nach der Geburt Unterschiede in der Reaktion ihres Hirnstamms gab.
Langsamere Reaktion des Hirnstamms
Und tatsächlich: Die Kinder, bei denen später Autismus diagnostiziert wurde, zeigten schon im Neugeborenen-Alter Auffälligkeiten im Hörtest. Ihr Hirnstamm reagierte leicht verzögert auf die akustischen Reize und es zeigten sich Phasenverschiebungen in den Hirnwellen, wie die Forscher berichten. Die Art der Anomalien entspreche denen, die zuvor schon bei autistischen Kindern im Schulalter gemessen wurden.
„Diese Ergebnisse sprechen dafür, dass schon Neugeborene neurophysiologische Auffälligkeiten zeigen, die auf einen angeborenen Autismus hindeuten“, konstatieren Miron und sein Team. Das eröffne die Chance, diese Entwicklungsstörung früher als bisher zu erkennen. „Die Wichtigkeit einer frühen Diagnose von Autismus in der frühen Kindesentwicklung kann gar nicht stark genug betont werden“, sagt Miron. Jedes weitere Hilfsmittel für eine Diagnose sei daher wertvoll.
„Wir sind zwar noch nicht an dem Punkt, an dem wir allen Klinikärzten raten, diese Methode zur Autismus-Früherkennung einzusetzen“, sagt Koautorin Elizabeth Simpson von der University of Miami. „Aber unsere Studie zeigt eine vielversprechende Richtung, wie dieser Standard-Hörtest als Methode für eine Autismus-Erkennung schon nach der Geburt eingesetzt werden könnte.“ Weitere Studien dazu sollen nun beginnen. (Autism Research, 2020; doi: 10.1002/aur.2422)
Quelle: University of Miami