Fatale Kettenreaktion: Wenn Biomoleküle wie die DNA von harter Strahlung getroffen werden, kann dies umfangreichere Schäden hervorrufen als gedacht. Denn die strahlenbedingte Ionisierung überträgt sich auch auf Nachbarmoleküle und löst einen sogenannten Coulombzerfall aus – eine explosive Abstoßungsreaktion, wie Forscher beobachtet haben. Bei Biomolekülen wie der DNA könnte diese explosive Kettenreaktion vermehrt zu doppelten Strangbrüchen führen.
Wenn Zellen und Gewebe von energiereicher Strahlung getroffen werden, werden Moleküle im Zellinneren durch die Strahlungsenergie angeregt, einige verlieren Elektronen und werden ionisiert. Oft führt dies zum Zerbrechen von Bindungen – beispielsweise bei einem Strang des Erbmoleküls DNA. Schafft es die Zelle nicht, diesen Schaden zu reparieren, kann dies zu einer Entartung der Zelle und damit zu Krebs führen. Im Extremfall können sogar ganze Chromosomen zerfallen.
Explosive Abstoßung
Doch wie kann ein solcher explosiver Zerfall zustande kommen? Eine mögliche Ursache dafür haben nun Forscher um Xueguang Ren vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg untersucht. Im Fokus stand ein 1997 entdeckter Strahlungseffekt, der sogenannte Coulomb-Zerfall. Er betrifft vor allem Moleküle, in denen es interagierende Doppelbindungen gibt, wie beispielsweise bei ringförmigen organischen Verbindungen der Fall.
Wird ein solches System von ionisierender Strahlung getroffen, schlägt diese oft nicht nur ein Elektron aus dem getroffenen Molekül, sondern erzeugt einen Energieüberschuss. Dieser wird über die interagierenden Doppelbindungen an das Nachbarmolekül weitergegeben und kann auch dort ein Elektron herausschlagen. Dadurch liegen plötzlich zwei durch die Ionisation positiv geladene Moleküle oder Molekülteile direkt nebeneinander und stoßen sich ab.
Die Folge: Der Molekülkomplex fliegt auseinander. „Dieser intermolekulare Coulombzerfall geschieht innerhalb von Femtosekunden und ist selbst in relativ weit auseinanderliegenden Systemen effektiv“, erklären Ren und seine Kollegen.
Benzolpaare als Modell für DNA-Basen
Unklar war aber bisher, ob dieser explosive Zerfall auch in den Biomolekülen unserer Zellen und im Speziellen im Erbmolekül DNA stattfinden kann. Bisher ging man davon aus, dass ionisierende Strahlung diese Biomoleküle vor allem indirekt schädigt, indem es umliegende Wassermoleküle ionisiert. Die schwachen, nicht-kovalenten Bindungen zwischen den Molekülen und Molekülteilen der DNA oder Proteine seien hingegen nicht betroffen – so jedenfalls die Annahme.
Ob das stimmt, haben die Wissenschaftler nun am Beispiel eines Modellmoleküls überprüft. „Weil Experimente mit den freien Nukleinbasen schwierig sind, haben wir als Modellsystem zunächst Paare von Benzolmolekülen untersucht“, erklärt Seniorautor Alexander Dorn vom MPI für Kernphysik. Diese ringförmigen Kohlenwasserstoff sind ähnlich miteinander verbunden wie die Basen der DNA. Für ihr Experiment beschossen die Forscher die Benzolpaare mit Elektronen, wie sie typischerweise auch durch ionisierende Strahlung entstehen.
Coulombzerfall auch in der DNA möglich
Und tatsächlich: Der ionisierende Beschuss führte dazu, dass erst einer der Benzolringe ionisiert wurde, dann seine Energie weitergab und den zweiten Ring ionisierte. „Das Benzolpaar ist damit doppelt positiv geladen mit jeweils einer Ladung an jedem Molekül“, berichtet das Team. „Die typische Folgereaktion ist eine Coulomb-Explosion in zwei Kationen, die mit gleichem Impuls, aber in entgegengesetzter Richtung auseinanderfliegen.“
Damit bestätigt das Experiment, dass auch nicht-kovalent gebundene Moleküle vom Coulombzerfall betroffen sein können – und damit eine ganze Reihe biologisch und medizinisch wichtiger Moleküle. „Nicht-kovalent gebundene aromatische Systeme sind allgegenwärtig und prägen die physikochemischen Eigenschaften verschiedenster organischer Materialien“, konstatieren die Forscher.
Bedeutung auch für Erbmolekül DNA
Auch unsere DNA gehört damit zu den Molekülen, bei denen Strahlung diesen explosiven Zerfall auslösen könnte: Die Wissenschaftler haben bereits ermittelt, dass auch die DNA-Basenpaare Adenin-Thymin und Guanin-Cytosin eine für den Coulombzerfall anfällige Ionisierungsenergie besitzen. Es könnte daher sein, dass ionisierende Strahlung über solche explosiven Zerfälle mehr direkte Schäden in der DNA anrichtet als bisher angenommen.
Denn wenn ein einzelner Strang in der DNA-Strickleiter bricht, kann die Zelle dies meist noch gut reparieren. Doch der beobachtete Coulombzerfall kann durch seine ionisierende Kettenreaktion auch beide Stränge des Erbmoleküls zerstören. Das erhöht das Risiko für eine Entartung. Umgekehrt könnte die neuen Erkenntnisse aber auch dazu beitragen, der Medizin zu helfen. Denn sie könnten helfen, die Strahlentherapie gegen Krebs effektiver zu machen. (Nature Chemistry, 21021; doi: 10.1038/s41557-021-00838-4)
Quelle: Max-Planck-Institut für Kernphysik