Extrem heruntergekühlt: Forschern ist es zum ersten Mal gelungen, menschliche Spenderorgane bei Minustemperaturen zu konservieren. Sie kühlten Lebern auf minus vier Grad Celsius herunter, ohne dass das Gewebe gefror. Durch dieses sogenannte Supercooling überlebten die Lebern bis zu 27 Stunden außerhalb des Körpers. Das ist dreimal länger als mit gängigen Verfahren in der Regel möglich ist, wie das Team im Fachmagazin „Nature Biotechnology“ berichtet.
Für Menschen mit akutem Organversagen oder einer schweren chronischen Erkrankung ist eine Organtransplantation oftmals die letzte Hoffnung auf Heilung. Doch Spenderorgane sind knapp: Neben der geringen Zahl an Organspenden begrenzt auch der Faktor Zeit das Angebot. So müssen entnommene Lebern, Nieren und Co im Schnitt innerhalb von neun Stunden beim Empfänger sein. Denn außerhalb des Körpers gehen die sensiblen Zellen und Strukturen sehr schnell kaputt.
Forscher suchen daher schon länger nach Alternativen zum gängigen Transport bei vier Grad Celsius in der Kühlbox, die die Überlebensdauer der Organe verlängern könnten. In den Fokus ist dabei zuletzt das sogenannte Supercooling gerückt. Bei dieser Methode werden die Organe auf Minustemperaturen heruntergekühlt, ohne dass sich dabei für das Gewebe schädliche Eiskristalle bilden. Inspiriert ist das Prinzip von der Natur: Auch einige Tiere können dank eines solchen Tricks die kalte Jahreszeit überstehen.
Frostschutz-Cocktail für Lebern
Wie aber gelingt dies bei Organen? Bereits vor fünf Jahren hatte ein Team von US-Wissenschaftlern gezeigt, dass sich Rattenlebern auf minus sechs Grad herunterkühlen lassen, ohne einzufrieren. Möglich wurde dies unter anderem durch die Zugabe spezieller Frostschutzmittel. Auf die 200-mal größeren menschlichen Organe ist dieses Verfahren allerdings nicht so einfach übertragbar. „Je größer das Volumen, desto schwieriger wird es, die Bildung von Eiskristallen bei Minustemperaturen zu verhindern“, erklärt Reinier de Vries von der Harvard Medical School in Boston.
Ihm und seinen Kollegen ist genau dies nun trotzdem gelungen: Sie haben die Supercooling-Methode zum ersten Mal erfolgreich bei menschlichen Lebern angewandt. Um ihr Ziel zu erreichen, passten die Forscher das zuvor bei Ratten erprobte Verfahren in einigen Punkten an. Zunächst optimierten sie die Zusammensetzung der Antifrost-Lösung: Zusätzlich zu den Frostschutzmitteln 3-O-Methyl-D- Glukose und einem Polyethylenglykol gaben sie dabei Trehalose und Glycerin zu der Mischung. Gemeinsam schützen und stabilisieren diese Stoffe die Zellen und verhindern die Eisbildung.
Langsam heruntergekühlt
Für den entscheidenden Schritt koppelten die Forscher menschliche Lebern an eine Perfusionsmaschine, die die Organe ähnlich einem künstlichen Blutkreislauf mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt. Über diese Maschine speisten sie dann nach und nach die Konservierungsflüssigkeit ein, die sich dadurch besonders gleichmäßig im gesamten Organ verteilte.
Anschließend wurde die Leber langsam auf minus vier Grad Celsius heruntergekühlt. Dabei sorgte das Team dafür, dass kein Kontakt zu Luft bestand. Denn sie hatten herausgefunden, dass Interaktionen mit Luft das Risiko für die spontane Kristallbildung auf der Organoberfläche erhöhen. Nach der Konservierung wurden die Lebern über die Perfusionsmaschine allmählich wieder auf Raumtemperatur gebracht.
Aufgetaut und funktionsfähig
Wie gut hatten die Organe die Prozedur überstanden? Die Ergebnisse zeigten, dass die Lebern dank der Supercooling-Methode bis zu 27 Stunden außerhalb des Körpers überlebten – und damit dreimal länger als beim herkömmlichen Transport in der Kühlbox üblich. Wie die Wissenschaftler berichten, war die Funktionsfähigkeit der Lebern nach der Unterkühlungsprozedur noch genauso gut wie vorher. Transplantiert haben sie die Organe zwar nicht. Simulationen legten jedoch nahe, dass die Lebern die Verpflanzung in einen neuen Körper wahrscheinlich problemlos überstehen würden.
Bestätigen weitere Untersuchungen den Nutzen der neuen Methode, wäre dadurch wertvolle Zeit gewonnen: „Wenn ein Organ verfügbar wird, ist ein geeigneter Empfänger nicht immer in der Nähe“, erklärt de Vries‘ Kollegin Shannon Tessier. „Eine längere Haltbarkeit bedeutet mehr Zeit für die Suche nach einem passenden Patienten und den Transport. Und das bedeutet, dass weniger Spenderorgane entsorgt werden müssen und mehr Patienten gut geeignete Organe erhalten, mit denen sie lange leben können.“
Weitere Alternativen im Test
Das Supercooling-Verfahren ist jedoch nicht die einzige Methode, die derzeit als Alternative zur Kühlbox diskutiert wird. So erproben Mediziner zum Beispiel auch Verfahren, bei dem Organe nicht gekühlt, sondern in einem Zustand wie im Körper gehalten werden. Dabei wird den Organen während des Transports quasi vorgegaukelt, sich noch im Organismus zu befinden. Diese Technik könnte sich vor allem für vorgeschädigte Organe eignen, die Kühlprozesse häufig weniger gut überstehen. (Nature Biotechnology, 2019; doi: 10.1038/s41587-019-0223-y)
Quelle: Harvard Medical School/ National Institute of Biomedical Imaging & Bioengineering/ Massachusetts General Hospital