Medizin

Thymusdrüse: Doch nicht überflüssig?

Langzeitstudie widerlegt gängige Lehrmeinung zum Immunorgan in unserer Brust

Thymusdrüse
Die Thymusdrüse spielt in der Kindheit eine wichtige Rolle für das Immunsystem, galt aber bisher bei Erwachsenen als weitgehend funktionslos und überflüssig. © janulla/ Getty images

Lehrmeinung widerlegt: Die hinter dem Brustbein liegende Thymusdrüse galt bei Erwachsenen bisher als weitgehend überflüssig. Doch jetzt enthüllt eine Studie: Entfernt man dieses Immun-Organ, beispielsweise bei Herzoperationen, hat dies signifikante Auswirkungen auf die Gesundheit: Betroffene erkranken häufiger an Krebs und ihr Risiko für einen verfrühten Tod ist 2,9-mal höher. Außerdem scheint eine intakte Thymusdrüse auch das Risiko für Autoimmunerkrankungen zu senken, wie Forschende im „New England Journal of Medicine“ berichten.

Der Thymus, auch Thymusdrüse genannt, sitzt hinter unserm Brustbein und spielt vor allem in der Kindheit eine wichtige Rolle für unser adaptives Immunsystem. Denn in dieser Drüse werden die noch unreifen, im Knochenmark produzierten T-Zellvorläufer auf ihre künftigen Aufgaben vorbereitet: Sie reifen heran und differenzieren sich dabei in die verschiedenen Typen der T-Abwehrzellen. Während dieser Prägungsphase lernen die Abwehrzellen unter anderem, körpereigene Zellmerkmale von fremden zu unterscheiden.

Mehr Fett als Funktion?

Doch gängiger Lehrmeinung nach endet diese Aufgabe der Thymusdrüse mit der Pubertät: Das Organ verliert nach und nach seine Immunfunktion und wandelt sich im Laufe des Lebens in Fettgewebe um. „Bei Erwachsenen gilt der Thymus daher meist als funktionslos und wird manchmal bei kardiologischen Operationen entfernt, um besseren Zugang zum Herzen und den großen Blutgefäßen zu bekommen“, erklären Kameron Kooshesh vom Massachusetts General Hospital in Boston und seine Kollegen.

Um herauszufinden, ob der Thymus bei Erwachsenen wirklich überflüssig ist und folgenlos entfernt werden kann, haben Kooshesh und sein Team dies in einer Langzeitstudie untersucht. Dafür ermittelten sie über mehrere Jahre hinweg das Risiko für Krebs, eine Autoimmunkrankheit und Tod bei 1.146 Patienten, denen die Thymusdrüse im Rahmen einer Herz-OP entfernt worden war und bei 1.146 Kontrollpersonen, die ähnliche Merkmale, Krankheitsbilder und Operationen hinter sich hatten, aber ihre Thymusdrüse behielten.

Erhöhtes Risiko für Krebs, Autoimmunkrankheiten und Tod

Das Ergebnis: Anders als gedacht hat die Entfernung der Thymusdrüse sehr wohl einen Einfluss auf die Gesundheit – auch bei Erwachsenen. „Wir haben entdeckt, dass der Thymus für die Gesundheit absolut notwendig ist“, berichtet Seniorautor David Scadden vom Massachusetts General Hospital. „Fehlt er, haben Menschen ein mindestens doppelt so hohes Risiko zu sterben oder an Krebs zu erkranken.“ Das Risiko für eine Autoimmun-Erkrankung liegt den Studiendaten zufolge 1,5-fach höher.

Konkret waren nach fünf Jahren Studiendauer 8,1 Prozent der Testpersonen ohne Thymusdrüse gestorben, bei der in Alter, Gesundheitszustand und Operation vergleichbaren Kontrollgruppe mit Thymus waren es nur 2,8 Prozent. Dies entspricht einem 2,9-fach erhöhten Sterberisiko, wie das Team berichtet. In der gleichen Zeit entwickelten 7,4 Prozent der Patienten ohne Thymus eine Krebserkrankung, in der Kontrollgruppe waren es 3,7 Prozent – nur etwa halb so viele.

Ähnlich signifikante Unterschiede ergab eine zusätzliche Vergleichsanalyse mit den Mortalitäts- und Krebsbraten der allgemeinen US-Bevölkerung: Auch dabei lag das Risiko für Testpersonen ohne Thymusdrüse fast doppelt so hoch wie bei Menschen mit diesem Organ.

Weniger T-Helferzellen und T-Killerzellen

Nach Ansicht der Mediziner bestätigen diese Ergebnisse, dass die Thymusdrüse auch bei Erwachsenen keineswegs funktionslos ist – und für das Immunsystem weiterhin eine wichtige Rolle spielt. Ein Indiz dafür lieferte auch eine ergänzende Analyse, in der die Forschenden sich die T-Zell-Produktion und die Immunfunktionen bei 22 Patienten ohne Thymus und 19 Vergleichspersonen mit der Drüse genauer untersuchten.

Es zeigte sich: Bei Testpersonen ohne Thymusdrüse produzierte das Immunsystem fast dreimal weniger neue CD4+– und CD8+-Lymphozyten. Dabei handelt es sich um zwei wichtige Untertypen der T-Zellen: Die CD8+-T-Zellen sind die „Killerzellen“, die infizierte oder entartete Zellen zerstören und so Infektionen oder Tumore direkt bekämpfen. Die CD4+– oder T-Helferzellen aktivieren die T-Killerzellen und übergeben zugleich den B-Zellen die nötigen Informationen, damit diese passende Antikörper produzieren können.

Rolle der Thymus-Restaktivität sollte weiter erforscht werden

Kooshesh und sein Team plädieren deshalb dafür, die Rolle des Thymus für die Immunabwehr und Gesundheit von Erwachsenen genauer zu untersuchen als bisher. Sie vermuten, dass es selbst nach Umwandlung weiter Teile des Organs in Fettgewebe noch immer eine Restaktivität gibt, die langfristig für die Gesundheit wichtig ist. „Es sollte daher sehr sorgfältig überlegt werden, ob man die Thymusdrüse bei einer Operation entfernt“, so Scadden.

Das Forschungsteam möchte nun als nächstes untersuchen, ob und wie sich die Aktivität der Thymusdrüse bei Erwachsenen unterscheidet und wie dies die Gesundheit beeinflusst. „Wir können die relative Fitness des Thymus testen und feststellen, ob der Grad seiner Aktivität mit einem besseren Gesundheitszustand verbunden ist“, erklärt Kooshesh. (New England Journal of Medicine, 2023; doi: 10.1056/NEJMoa2302892)

Quelle: Massachusetts General Hospital

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