Medizin

Traumafolgen werden vererbt

RNA-Schnipsel übertragen körperliche Folgen schweren Stresses bis auf die Enkel

Traumatische Erfahrungen und schwerer Stress hinterlassen anhaltende Folgen © SXC

Traumatischer Stress hinterlässt körperliche Veränderungen nicht nur bei uns selbst, sondern auch bei unseren Nachkommen. Darauf deuten Versuche mit Mäusen hin. Wurden sie schwerem Stress ausgesetzt, zeigten selbst ihre Enkel noch ein abnormes Verhalten und einen veränderten Stoffwechsel. Vererbt werden diese Traumafolgen über kleine RNA-Schnipsel, die mit den Spermien weitergegeben werden, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature Neuroscience“ berichten.

Traumatische Erfahrungen der Kindheit verändern nicht nur nachhaltig die Psyche der Betroffenen, sondern auch deren körperliche Gesundheit – und dies oft lebenslang. Ob und wie sich diese Traumafolgen auch auf die Nachkommen übertragen können, war bisher unklar. Isabelle Mansuy von der ETH und Universität Zürich und ihre Kollegen haben dies nun in Experimenten mit Mäusen untersucht.

Für ihre Studie setzten die Forscher Mäuse nach der Geburt extremem Stress aus: Sie trennten sie in willkürlichen Zeitabständen von ihrer Mutter. Nachdem diese Mäuse ausgewachsen waren, überprüften sie ihr Verhalten mit einem Satz standardisierter Tests, indem sie unter anderem ihre Reaktion auf helles Licht und offene Räumen prüften und sie in einem Becken schwimmen ließen. Das Ergebnis: Alle dem frühkindlichen Stress ausgesetzten Mäuse zeigten ein verändertes Verhalten. Sie hatten größtenteils ihre natürliche Scheu vor diesen Aufgaben verloren.

Verhalten und Stoffwechsel der Nachkommen verändert

Das eigentlich Interessante aber zeigte sich beim Nachwuchs dieser Mäuse: Obwohl sie alle völlig normal und ungestresst gehalten wurden, manifestierten sich auch bei ihnen die Verhaltensauffälligkeiten. Selbst bei den Enkeln wiesen die Forscher diese Veränderungen noch nach. Doch bei den Verhaltensänderungen blieb es nicht: Auch der Stoffwechsel der Mäuse-Nachkommen war verändert. Insulin- und Blutzuckerspiegel lagen bei ihnen niedriger als bei Jungtieren, deren Eltern und Großeltern keinen Stress erfahren hatten. Sie waren zudem trotz gleicher Nahrung deutlich schmächtiger.

Die Jungtiere können diese Merkmale im Gegensatz zum Verhalten nicht von ihren Eltern „abgeguckt“ haben. Nach Ansicht der Forscher liegt daher der Schluss nahe, dass sich diese Folgen traumatischer Erfahrungen vererbt haben müssen. „Wir konnten erstmals beweisen, dass traumatische Erfahrungen den Stoffwechsel beeinträchtigen und diese Veränderungen erblich sind“, sagt Mansuy.

Micro-RNAs sind kurze Erbgutschnipsel, die regulierend in die Genaktivität eingreifen. © Kelvinsong / CC-by-sa 3.0

RNA-Schnipsel als Überträger

Wie diese Traumafolgen vererbt werden, zeigte eine weitere Untersuchung der gestressten Mäuse und ihrer Nachkommen: Als die Forscher Proben von Blut, Spermien und Gehirn der Tiere analysierten, fiel ihnen ein Ungleichgewicht von Micro-RNAs auf. Diese kurzen RNA-Moleküle sind kurze Kopien des Erbguts, die in den Zellen vor allem regulierende Aufgaben übernehmen. Sie steuern beispielsweise, wie stark bestimmte Gene abgelesen und in Proteine umgesetzt werden.

Bei den Mäusen, deren Eltern und Großeltern traumatische Erfahrungen gemacht hatten, war die Verteilung und Menge dieser Micro-RNAs anormal, wie die Forscher berichten. Von einigen existierten zu viele, von anderen zu wenig. Dadurch laufen Zellprozesse, die durch diese Micro-RNAs gesteuert werden, aus dem Ruder. „Mit dem Ungleichgewicht der Micro-RNAs in Spermien haben wir einen Informationsträger entdeckt, über den Traumata vererbt werden könnten“, erklärt Mansuy.

Es seien jedoch noch einige Fragen offen, zum Beispiel wie genau es zu dem Ungleichgewicht der kurzen RNAs kommt. „Sehr wahrscheinlich sind sie Teil einer Wirkkette, die damit beginnt, dass der Körper zu viele Stresshormone produziert.“ Der gleiche Mechanismus könnte aber auch der Vererbung anderer erworbener Eigenschaften zugrunde liegen, vermutet die Forscherin. „Die Umwelt hinterlässt ihre Spuren im Gehirn, den Organen und auch in Keimzellen. So werden diese Spuren teilweise an die nächste Generation weitergegeben.“ (Nature Neuroscience, 2014; doi: 10.1038/nn.3695)

(Nature / ETH Zürich, 14.04.2014 – NPO)

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