Falsch herum: In unserem Erbgut kommen Umkehrungen ganzer DNA-Abschnitte häufiger vor als gedacht – sie sind sogar die häufigste Mutationsform in unserem Genom, wie eine Studie enthüllt. Bei solchen DNA-Inversionen liegen bis zu einer Million Basenpaare falsch herum im Erbgutstrang. An 40 Stellen im Genom kommt es zudem immer wieder zum Umkippen ganzer Abschnitte. Sie machen immerhin rund 0,6 Prozent unseres Genoms aus und könnten auch bei genbedingten Krankheiten eine wichtige Rolle spielen.
Wenn unser Erbgut bei der Zellteilung kopiert und auf die Tochterzellen aufgeteilt wird, kommt es immer wieder zu Mutationen: Einzelne Basen werden gegen andere vertauscht, andere werden komplett herausgeschnitten oder an falscher Stelle eingefügt. Im Schnitt wird jeder Mensch mit 70 solcher Mutationen geboren. Meist bleiben diese Punktmutationen folgenlos, wenn sie jedoch in einem proteinkodierenden Gen liegen, können sie auch Krankheiten verursachen.
Doch neben diesen gut untersuchten und kartierten Punktmutationen gibt es noch eine weitere, deutlich umfassender Form der Kopierfehler im Erbgut: Inversionen. Dabei handelt es sich um DNA-Abschnitte, die in falscher Richtung in den Erbgutstrang eingefügt wurden. Weil sie nicht korrekt abgelesen werden können, gelten auch sie als Ursachen teils schwerwiegender Krankheiten.
Komplizierte Fahndung
Das Problem jedoch: In Genanalysen lassen sich solche Inversionen nur schwer identifizieren, weil die Basenabfolge innerhalb dieser umgedrehten Abschnitte ja der normalen entspricht – nur die Richtung ist die falsche. Entsprechend wenig untersucht waren sie bisher. Um den Inversionen im menschlichen Erbgut auf die Spur zu kommen, haben David Porubsky von der University of Washington in Seattle und seine Kollegen nun drei Methoden der Genomanalyse kombiniert.
Für ihre Studie durchsuchte das Team Erbgutproben von 41 Testpersonen aus Afrika, Asien und Europa auf Inversionen von mehr als 50 Basenpaaren Länge. Um die umgekehrten Abschnitte zu finden, führten sie eine Stranganalyse an einzelnen Zellen durch, trennten die väterlichen und mütterlichen Chromosomenanteile auf und verwendeten zudem hochpräzise Sequenzierung besonders langer Abschnitte.
Millionen Basenpaare betroffen
Das Ergebnis: „Wir haben festgestellt, dass Inversionen in einer viel höheren Rate vorkommen als zuvor gedacht“, berichtet Seniorautor Jan Korbel vom European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg. Das Team identifizierte insgesamt 729 Genomabschnitte mit umgekehrter Basenreihenfolge in den 41 Erbgutproben. Pro Testgenom waren im Schnitt 11,6 Millionen Basenpaare invertiert.
„Damit sind davon viermal so viele Basenpaare betroffen wie von Punktmutationen und doppelt so viele wie durch Einfügung oder Fehlen einzelner Basenpaare“, erklären die Forschenden. „Die Inversion ist damit einer der häufigsten Mutationsprozesse des Menschen.“ Hinzu kommt: Die umgekehrten Genomabschnitte sind oft mehrere hunderttausend Basenpaare lang, so dass große Bereiche der DNA auf einmal betroffen sind.
0,6 Prozent des Erbguts sind „Kippel-Stellen“
Interessant auch: Während einige dieser umgekehrten DNA-Abschnitte nur bei einzelnen Menschen vorkommen, gibt es offenbar Stellen im menschlichen Genom, die immer wieder ihre Richtung ändern. Das Forschungsteam fand bei in ihren Proben 40 dieser „Flip-Flop“-Regionen. „An diesen Stellen ist das Genom nicht stabil – die Richtung des DNA-Codes wechselt wiederholt hin und her“, sagt Korbel. Nach Angaben der Forschenden betreffen solche wiederkehrenden Inversionen rund 0,6 Prozent des menschlichen Erbguts.
Nähere Analysen ergaben, dass die instabilen, zu Umkehrungen neigenden Genregionen meist von speziellen DNA-Abschnitten flankiert sind. Diese bestehen entweder aus duplizierten DNA-Blöcken oder sind sogenannte Retro-Transposons – Erbgutabschnitte, die besonders mobil sind und leicht ihre Position im Genom wechseln können. Porubsky und seine Kollegen vermuten daher, dass diese Segmente eine Inversion begünstigen. Rund 45 Prozent dieser wiederkehrenden Inversionen liegen zudem auf den Geschlechtschromosomen, die generell als besonders mutationsanfällig gelten.
Bedeutung für genetisch bedingte Krankheiten
Die unerwartet hohe Zahl von Umkehrungen in unserem Genom hat auch große Bedeutung für genetisch bedingte Krankheiten. Denn in den Analysen waren potenziell krankheitsverursachende Genabschnitte doppelt so häufig von DNA-Umkehrungen betroffen als andere. „Unsere Studie zeigt eine Assoziation von krankheitsverursachenden Kopienzahlvariationen (CNV) mit Hotspots der wiederkehrenden Inversion“, berichtet das Team.
Damit könnte das Wissen um diese umkehrungsanfälligen Abschnitte auch eine praktische Bedeutung für die klinische Praxis haben. „Es könnte beispielsweise genutzt werden, um Familien mit einem erhöhten Risiko für solche Krankheiten zu identifizieren“, sagt Seniorautor Evan Eichler von der University of Washington. „So haben wir erstmals gezeigt, dass Inversionen mit seltenen genomischen Umgruppierungen verknüpft sind, die bei kindlichem Autismus, Entwicklungsrückständen und Epilepsie vorkommen.“ (Cell, 2022; doi: 10.1016/j.cell.2022.04.017)
Quelle: European Molecular Biology Laboratory EMBL