Für alle verträglich: Forscher haben erfolgreich den sogenannten Rhesusfaktor auf Blutzellen maskiert. Bei ihrem Verfahren wird dieses Molekül auf der Oberfläche roter Blutkörperchen vor dem Immunsystem versteckt – sie können so theoretisch auch Menschen übertragen werden, die Rhesusfaktor-positives Blut normalerweise nicht vertragen. Das Ziel des universellen Spenderbluts rückt damit einen weiteren Schritt näher, wie das Team im Fachmagazin „Science Advances“ berichtet.
Bluttransfusionen können Leben retten – vorausgesetzt, die Blutgruppe stimmt. Passt das Blut von Spender und Empfänger nicht zusammen, werden die fremden Blutzellen vom Immunsystem zerstört. Schuld an dieser fatalen Unverträglichkeit sind unterschiedliche Moleküle auf der Oberfläche der roten Blutkörperchen. Zu den wichtigsten dieser Merkmale gehören neben den Blutfaktoren des AB0-Systems die Rhesusfaktor-Proteine, kurz Rh.
„Innerhalb der Rh-Blutgruppe ist das D-Antigen am immunogensten und klinisch daher besonders relevant“, erklären Forscher um Yueqi Zhao von der Zhejiang-Universität im chinesischen Hangzhou. Während der Rhesusfaktor für Rh-positive Menschen keine Bedeutung hat, können Rh-negative Menschen nur Rh-negative Blutspenden empfangen. Ausgerechnet diese Blutgruppe ist jedoch rar. So sind in Deutschland beispielsweise nur 15 Prozent der Bevölkerung Rhesusfaktor-negativ.
Tarnkappe gesucht
In der Notfallversorgung herrscht daher ein kritischer Mangel an Blutkonserven mit diesem Merkmal. Um diesem Problem zu begegnen, fahnden Mediziner nach Möglichkeiten, RhD-positives Blut für alle verträglich zu machen. Ihre Idee: Sie wollen die Antigene auf diesen Blutzellen durch spezielle Ummantelungen vor dem Immunsystem verstecken. Bisherige Versuche dieser Art führten jedoch zu unerwünschten Nebeneffekten – wichtige Eigenschaften der Blutzellen veränderten sich und störten deren Funktion.
Zhaos Team hat nun einen neuen Versuch gestartet. Die Forscher nutzten für die Maskierung des Rhesusfaktors ein Hydrogel aus Polysialinsäure (PSA) und Tyramin. Eine einfache Reaktion sorgt dafür, dass sich dieses Nanogel an der Oberfläche einzelner Blutzellen verankert und ein dreidimensionalen Gelgerüst bildet. Dieses wirkt wie eine Kapsel und schirmt das Antigen vor Angriffen des körpereigenen Abwehrsystems ab.
Übertragung ohne Immunreaktion
Das Besondere: Dank der speziellen Textur des verwendeten Hydrogels bleiben die natürliche Fluidität der Zellmembran und weitere Merkmale der roten Blutkörperchen erhalten. Untersuchungen bestätigten, dass die veränderten Blutzellen genauso stabil sind wie das Original und sich ganz normal verhalten. Auch ihre Fähigkeit zum Sauerstofftransport wird durch die Ummantelung nicht beeinträchtigt, wie die Wissenschaftler berichten.
Doch können die modifizierten Zellen Lebewesen mit RhD-negativem Blut wirklich sicher transfundiert werden? Dies testeten die Wissenschaftler mit Mäusen. Sie entnahmen den Nagern zehn Prozent ihres Blutvolumens und ersetzten dieses durch die veränderten roten Blutkörperchen. Und tatsächlich: Das Immunsystem der Tiere griff die fremden Zellen nicht an. Die Mäuse überlebten die Transfusion gut und die Spenderzellen verhielten sich auch mindestens 20 Tage nach dem Eingriff noch genauso wie normale rote Blutkörperchen.
„Die neue Technik macht zum ersten Mal eine Übertragung veränderter RhD-positiver Blutzellen auf RhD-negative Empfänger möglich, ohne dass es zu einer Immunreaktion kommt“, betont das Team.
Einen weiteren Schritt näher
In einem nächsten Schritt verabreichten die Wissenschaftler ihre Blutzellen Kaninchen, deren Immunsystem zuvor gelernt hatte, speziell auf Rhesusfaktor-D-Antigene zu reagieren. Doch auch diese Nager zeigten nach der Transfusion keine Immunreaktion und blieben körperlich gesund. „Dies bestätigt, dass die Oberflächenveränderungen die Anti-RhD-Immunität umgehen können und biologisch verträglich sind“, erklären die Forscher.
Alles in allem legen die Ergebnisse nahe, dass die Rhesusfaktor-Strukturen dank des neuen Verfahrens wie unter einer Tarnkappe verschwinden. Damit rückt das Ziel eines universell einsetzbaren Spenderbluts einen weiteren Schritt näher. Denn in Kombination mit anderen Methoden, die Blutgruppen des AB0-Systems in die für alle verträgliche Blutgruppe 0 umwandeln, können nun die zwei wichtigsten Blutgruppenfaktoren gezielt verändert werden.
„Heiliger Gral der Transfusionsmedizin“
„Wirklich universelle ‚Blutgruppe 0 negativ‘ Blutkörperchen zu schaffen, ist der Heilige Gral der Transfusionsmedizin“, erklären die Forscher. Bereits 2018 war es einem Wissenschaftlerteam gelungen, aus Zellen mit den Blutfaktoren A und B mithilfe von Enzymen Blutzellen der Blutgruppe 0 zu machen. Zhaos Team liefert mit der Tarnkappe für den Rhesusfaktor nun die noch fehlende Ergänzung dazu.
Allerdings: Bis die veränderten Blutzellen in der Praxis zum Einsatz kommen, wird es wohl noch eine Weile dauern. Nicht nur das Verfahren muss zunächst weiter optimiert werden, um klinisch relevante Mengen modifizierter roter Blutkörperchen herstellen zu können. „Auch zusätzliche Untersuchungen zur langfristigen Verträglichkeit sind entscheidend, bevor diese Blutzellen für Transfusionen genutzt werden können“, schließen die Wissenschaftler. (Science Advances, 2020; doi: 10.1126/sciadv.aaw9679)
Quelle: AAAS