Medizin

Unsere Zellen „vererben“ ihr Nanoplastik

Plastikpartikel werden bei der Zellteilung weitergegeben und könnten Metastasen fördern

Mikroplastik
Die winzigen Partikel des Nanoplastiks dringen nicht nur in unsere Zellen ein, sie werden auch bei der Zellteilung weitergegeben, wie eine Studie enthüllt. © RHJPhtotos/ Shutterstock

Verborgene Gefahr: Unsere Zellen geben aufgenommenes Nanoplastik bei der Zellteilung an ihre Tochterzellen weiter, wie nun eine Studie enthüllt. Durch diese „Vererbung“ können sich die Kunststoffpartikel in Zellen und Geweben länger halten als gedacht und anreichern. Bei Krebszellen fördern die Plastikpartikel zudem die Zellwanderung – und könnten so die Bildung von Metastasen begünstigen. Weitere Untersuchungen dazu seien nun dringend nötig, betonen die Forschenden.

Mikroplastik ist überall – auch in uns: Die winzigen Plastikpartikel gelangen über die Atemluft, das Trinkwasser und die Nahrung in unseren Körper. Sogar im Gehirn und anderen Organen wurde das Mikro- und Nanoplastik schon nachgewiesen. Dort kann vor allem das kleine, weniger als einen Mikrometer große Nanoplastik bis in die Zellen eindringen. Welche Folgen dies hat, ist jedoch noch kaum geklärt. Auch, was mit dem Nanoplastik in unseren Zellen passiert, blieb unklar.

Wir nehmen mit Nahrung und Getränken auch Mikroplastik auf. © pcess609/ Getty images

Nanoplastik im Aufnahmetest

Erste Antworten liefert nun eine Studie von Ekaterina Brynzak-Schreiber von der Universität Wien und ihren Kollegen. Sie haben untersucht, ob und wie Darmkrebszellen Mikro- und Nanoplastik-Kügelchen aus Polystyrol aufnehmen – und was dann mit dem Nanoplastik geschieht. „Wir konzentrierten uns auf die Anreicherung von Nanoplastik in diesen Krebszellen, weil sie den Plastikpartikeln direkt ausgesetzt sind, ohne dass diese erst die Darmbarriere überwinden und sich im Organismus ausbreiten müssen“, erklärt das Team.

Für ihr Experiment setzten die Forschenden einlagige und kugelförmige Zellkulturen verschiedenen Dosierungen von Plastikpartikeln mit Durchmessern zwischen 0,25 und zehn Mikrometern aus. Über Fluoreszenzmarker beobachteten sie dann, ob und wie das Nanoplastik in die Zellen aufgenommen wurde und was im Verlauf der folgenden Zellteilung damit geschah.

Verschluckt und angereichert

Es zeigte sich: Während die größeren, zehn Mikrometer großen Partikel vorwiegend außerhalb der Zellen bleiben, wurde das Nanoplastik von allen Zelllinien aufgenommen. „Die 0,25 Mikrometer kleinen Partikel waren schon nach sechs Stunden in allen getesteten Zelllinien präsent, bei den einen Mikrometer großen Plastikteilchen dauerte es rund 24 Stunden“, berichten Brynzak-Schreiber und ihre Kollegen. Nach einem Tag hatten 89,5 Prozent der Zellen mindestens ein Nanoplastik-Partikel intus, einige Zellen sogar mehrere.

Nähere Analysen ergaben, dass das Nanoplastik dabei durch aktive Mechanismen in die Zellen gelangt: Sie werden über abgeschnürte Bläschen der Zellmembran ins Zellinnere transportiert. Dort sammeln sie sich im Laufe der Zeit in den Lysosomen – den eigentlich für die Entsorgung zellulärer Abfälle zuständigen Akteuren. „Dabei beobachteten wir aber keine Anzeichen für eine Eliminierung der Plastikpartikel“, berichtet das Team. Anders als biologischer Zellabfall wird das Nanoplastik demnach in unseren Zellen nicht abgebaut.

Nanoplastik bei der Zellteilung
Die farbige Fluoreszenz zeigt die Präsenz von Nanoplastik-Teilchen in diesen menschlichen Darmkrebszellen vor, während und nach der Zellteilung. © Brynzak-Schreiber et al./ Chemospheres, CC-by 4.0

An Tochterzellen weitergegeben

Doch nicht nur das: Das Nanoplastik wird bei der Zellteilung auch an die Tochterzellen „vererbt“, wie die Forschenden beobachteten. Demnach scheiden die Zellen die aufgenommenen Kunststoffpartikel auch bei der Zellteilung nicht aus, sondern geben sie an ihre Nachkommen weiter. Die Zellteilung selbst wird dadurch aber offenbar nicht gestört. „Unseres Wissens nach sind wir damit die ersten, die das Schicksal aufgenommener Partikel bei der Zellteilung dokumentiert haben“, schreibt das Team.

Das bedeutet: Einmal aufgenommen, bleibt das Nanoplastik auch dann in den Geweben und Zellen erhalten, wenn sich diese durch die Zellteilung erneuern und wachsen. Die Plastikpartikel könnten demnach im menschlichen Körper beständiger sein als zuvor angenommen und sich in den Geweben anreichern. „Damit erfüllen die untersuchten Partikel zwei von drei toxikologischen Merkmalen, die im Rahmen der EU-Chemikalienverordnung REACH als bedenkliche Stoffe eingestuft werden.“ erklärt Seniorautor Lukas Kenner von der Medizinischen Universität Wien.

Nanoplastik macht Krebszellen mobiler

Darüber hinaus entdeckte das Forschungsteam Hinweise darauf, dass das Nanoplastik auch das Verhalten von Krebszellen verändern und sie „wanderlustiger“ machen kann. Schon frühere Studien haten gezeigt, dass aufgenommenes Nanoplastik das Zytoskelett von Zellen umorganisiert und so möglicherweise die Flexibilität und Bewegung der Zellen beeinflusst. Deshalb überprüften Brynzak-Schreiber und ihr Team dies mit einem weiteren Experiment mit 0,25 und einen Mikrometer großen Plastik-Partikeln.

Und tatsächlich: „Nach nur zwölf Stunden war für beide Partikelgrößen ein Effekt sichtbar“, berichtet das Team. Vor allem das kleinere Nanoplastik verstärkte die Migration der Krebszellen signifikant, bei den größeren Teilchen war diese Wirkung jedoch schwächer. „Dies bestätigt die größenabhängigen Effekte des Mikro- und Nanoplastiks – und deutet auf eine mögliche Metastasen-fördernde Wirkung hin“, so Brynzak-Schreiber und ihre Kollegen. Demnach könnte die Belastung mit intrazellulären Nanoplastik sogar die Ausbreitung von Krebstumoren begünstigen.

Nanoplastik in Zellen
Die Resultate im Überblick: Nanoplastik wird aktiv von den Zellen aufgenommen und reichert sich in den Lysosomen an (links). Bei der Zellteilung wird es weitergegeben und in Krebszellen fördert es die Migration (rechts). © Brynzak-Schreiber et al./ Chemospheres, CC-by 4.0

„Versteckte Katalysatoren für die Krebsausbreitung“

Nach Ansicht der Forschenden sind diese Ergebnisse beunruhigend genug, um dringend weitere Untersuchungen anzustoßen. „Unsere Beobachtungen unterstreichen das Potenzial von Mikro- und Nanopartikel, als versteckte Katalysatoren für die Krebsausbreitung zu agieren“, schreiben sie. Das in Zellen aufgenommenen Nanoplastik könnte demnach das Streuen von Tumoren fördern und so die Metastasierung antreiben. Das werfe neues Licht auf eine signifikante und bisher wenig untersuchte Gefahr, so die Wissenschaftler.

„Vor dem Hintergrund der Allgegenwart von Kunststoffen in der Umwelt und der anhaltenden Exposition auch des Menschen durch kleinste Plastikpartikel sind dringend weitere Studien erforderlich, um insbesondere Langzeitauswirkungen zu untersuchen“, sagt Kenner. „Es ist davon auszugehen, dass von Nanoplastik eine chronische Toxizität ausgeht.“ (Chemospheres, 2024; doi: 10.1016/j.chemosphere.2024.141463)

Quelle: Universität Wien

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