Urin als Anzeiger: Forscher haben eine Methode gefunden, um das biologische Alter anhand eines Urintests zu bestimmen. Denn wie sie feststellten, nimmt mit dem Alter eine Substanz im Urin zu, die den oxidativen Schaden in Zellen anzeigt. Ein Urintest auf Basis dieses Biomarkers könnte das wahre Alter besser verraten als das chronologische Alter und dabei helfen, altersbedingte Krankheiten besser zu erkennen und zu behandeln, so die Wissenschaftler.
Das Alter des Menschen lässt sich mit zweierlei Maß messen: Chronologisch – nach Geburtsjahr – und biologisch – nach angesammelten Schäden in den Zellen. Die Rate der Zellschäden kann von Mensch zu Mensch unterschiedlich sein und von Genen, Lebensstil und Umwelt abhängen. So bleiben viele Menschen ihr ganzes langes Leben lang fit, während andere früh erkranken und sterben.
Ein Erklärungsmodell, welches das biologische Altern erklären soll, ist die „Theorie der freien Radikale“. „Nebenprodukte des Sauerstoffs aus dem Stoffwechsel können in Zellen oxidativen Schaden an Biomolekülen, wie DNA und RNA, verursachen“, sagt Seniorautor Jian-Ping Cai vom Nationalen Zentrum für Gerontologie in Peking. „Wenn wir altern, erleiden wir zunehmend diese Schäden, so dass die Mengen von oxidativen Biomarkern in unserem Körper zunehmen.“
Abbauprodukt der RNA im Urin
Das Interessante daran: Einige Biomarker für solche oxidativen Schäden könnten sich auch im menschlichen Urin wiederfinden – und so die Diagnose des biologischen Alters auf einfache Weise erlauben. Ob dies möglich ist, haben nun Cai und ein Team um Wei Gan von der Sichuan-Universität den Urin von 1.228 Chinesen im Alter von zwei bis 90 Jahren untersucht.
Als möglichen Biomarker wählten sie ein Abbauprodukt der RNA namens 8-oxo-7,8-dihydroguanosin – oder kurz 8-oxoGsn. Von diesem ist aus Tierversuchen bekannt, dass er mit dem biologischen Alter zunimmt. Um herauszufinden, ob dies auch beim Menschen der Fall ist, nutzten die Forscher eine Kombination aus ultraschneller Flüssigchromatografie und Massenspektrometrie, um noch kleinste Menge dieses Markers im Urin nachzuweisen.
Biomarker steigt mit Alter
Das Ergebnis: Die Menge von 8-oxoGsn stieg bei den Versuchspersonen langsam aber stetig mit dem Alter an. Bis zum Alter von etwa 50 Jahren gab es dabei kaum Unterschiede zwischen Frauen und Männern. Die Forscher vermuten, dass für diesen Anstieg der oxidierten RNA-Produkte die abnehmende anti-oxidative Kapazität des alternden Körpers verantwortlich ist. Umso älter wir werden, desto schlechter können wir uns gegen freie Radikale und Zellschäden wehren.
Ab einem Alter von etwa 51 Jahren jedoch zeigte sich ein deutlicher Unterschied zwischen den Geschlechtern: Bei den Frauen stieg der Gehalt des Biomarkers im Urin in der Zeit zwischen 51 und 60 Jahren deutlich stärker an. Die Forscher erklären sich dies durch die schwankende Produktion von Hormonen während der Menopause. So könnten geringere Östrogenlevel die anti-oxidative Kapazität des Körpers mindern.
Chancen für die Zukunft
Nach Ansicht der Forscher könnte der von ihnen genutzte Biomarker im Urin sich als Test für das biologische Alter eignen. „Im Urin enthaltendes 8-oxoGsn könnte den wahren Zustand unseres Körpers besser wiedergeben als unser chronologisches Alter. Dadurch könnte es uns helfen, das Risiko von altersbedingten Krankheiten vorherzusagen“, schließt Cai ab.
Etliche Forscher arbeiten schon daran das Altern durch verschiedene Therapien zu verlangsamen. Der neue Test könnte dabei helfen die Effektivität dieser Behandlungen zu beurteilen. Auch groß angelegte Altersstudien wären denkbar, denn die neue Methode ist fast fünfmal schneller als bisherige Analysen und ermöglicht 20 Messungen pro Stunde.
Nicht für Kinder und Athleten
Der von Cai und seinen Kollegen eingesetzte Alterstest wäre jedoch nicht für jeden Menschen geeignet. Grund ist das Kreatinin im Urin – ein Abbauprodukt der Muskelaktivität, das die Forscher als Eichwert herangezogen haben. Seine Menge im Harn schwankt je nach Muskelmasse. Säuglinge und Athleten haben damit wohl schlechte Karten gezogen, denn sie besitzen entweder zu wenig oder zu viel Muskelmasse. Zuverlässig funktioniert der Test erst ab 20 Jahren, bei Jüngeren schwankt der Kreatininwert zu stark. (Frontiers in Aging Neuroscience, 2018; doi: 10.3389/fnagi.2018.00034)
(Frontiers, 01.03.2018 – YBR)