Medizin

Ursache für Hepatitis-Epidemie bei Kindern gefunden

Mehrfach-Infektion mit Viren und von Lockdowns geschwächtes Immunsystem als Auslöser

Adeno-assoziertes Virus 2
Das Adeno-assozierte Virus 2 ist eigentlich harmlos. Aber in Kombination mit weiteren Viren und einem geschwächten Immunsystem kann es bei Kindern schwere Leberentzündungen auslösen. © Jazzlw/ CC-by-sa 4.0

Rätsel gelöst? Im Frühjahr und Sommer 2020 erkrankten ungewöhnlich viele Kinder in Europa und Nordamerika an einer Gelbsucht ungeklärter Ursache – keiner der gängigen Erreger wurde bei ihnen gefunden. Jetzt haben drei Forschungsteams die mögliche Ursache entdeckt: Bei fast allen erkrankten Kindern wurde das Adeno-assoziierte Virus AAV2 nachgewiesen. Dieses Virus ist für sich harmlos, könnte aber in Kombination mit weiteren Viren und einem durch die Lockdowns geschwächten Immunsystem der Kinder die schweren Leberentzündungen ausgelöst haben.

Hepatitis ist eine der häufigsten Infektionskrankheiten weltweit. Sie kann Gelbsucht auslösen – eine akute Entzündung der Leber, die im schlimmsten Falle zur Zerstörung der Leber und sogar zum Tode führen kann. Gängige Erreger der Hepatitis sind meist die fünf bisher bekannten Arten von Hepatitis-Viren, aber auch Bakterien können die Krankheit verursachen. Bei Kindern sind eine akute Gelbsucht oder eine chronische Hepatitis aber eher selten.

Mysteriöse Hepatitis-Ausbrüche

Umso alarmierender war es daher, dass im Frühjahr und Sommer 2020 in Europa und Nordamerika ungewöhnlich viele Kinder im Alter bis zu zehn Jahren an einer Leberentzündung erkrankten. Insgesamt hat es seither rund 1.000 Fälle in 35 Ländern gegeben. Die betroffenen Kinder waren auffällig oft schwer krank und mussten im Krankenhaus oder sogar auf der Intensivstation behandelt werden. 55 der kleinen Patienten konnte nur noch durch eine Lebertransplantation geholfen werden, 22 Kinder starben an ihrer Hepatitis.

Das Merkwürdige daran: Die an dieser Hepatitis erkrankten Kinder trugen keines der bekannten Hepatitisviren in sich. Auch Herpesviren und das Coronavirus SARS-CoV-2 kamen ersten Analysen zufolge nur in Einzelfällen vor. Um die Ursache dieses rätselhaften Ausbruchs von Leberentzündungen zu klären, haben gleich drei Forschungsteams, zwei in Großbritannien und eines in den USA, sich die Fälle näher angeschaut.

Sie unterzogen dafür die damals bei den Kindern entnommene Blut- und Lebergewebeproben einer ganzen Reihe von genetischen und virologischen Analysen. Einigen Kindern wurden auch aktuell noch einmal Proben entnommen.

Infektion mit Adeno-assoziiertem Virus

Dabei zeigte sich: Die erkrankten Kinder waren auffällig oft mit einem bisher als eher harmlos geltenden Virus infiziert, dem Adeno-assoziierten Virus (AAV2). Sie gehören zu einer Gruppe von Viren, die für ihre Reproduktion die Hilfe einer zweiten Virusart benötigen. Im konkreten Fall liefern Adenoviren dem AAV2 die Proteine, die dieses zum Vermehren in unseren Leberzellen braucht. Allerdings gilt AAV2 als nicht krankmachend: Rund 30 bis 80 Prozent der breiten Bevölkerung sind mit diesem Virus infiziert, ohne dass sie Symptome zeigen.

In den beiden britischen Studien wiesen die Forschenden dieses Adeno-assoziierte Virus in 81 und 96 Prozent der Fälle in hohen Konzentrationen nach. In den USA war AAV2 bei 93 Prozent der kleinen Patienten nachweisbar. Bei den Kindern der gesunden Kontrollgruppen war eine AAV2-Infektion dagegen die Ausnahme.

„Wir waren überrascht, dass die rätselhaften Infektionen nicht durch ein unbekanntes, neu aufgetretenes Virus verursacht wurden, sondern offenbar durch bei Kindern häufig vorkommende Erreger“, sagt Charles Chiu von der University of California in San Francisco, Erstautor der US-Studie.

Mehrere Viren und das Ende der Lockdowns als Auslöser

Das wirft die Frage auf, warum diese eigentlich harmlosen Viren bei den Kindern so schwere Leberentzündungen hervorgerufen haben. Die Forschenden vermuten, dass die akuten Gelbsuchtfälle durch ein unglückliches Zusammentreffen gleich mehrerer Infektionen und einem geschwächten Immunsystem zustande kamen. Denn fast alle an Hepatitis erkrankten Kinder waren zusätzlich zu AAV2 mit verschiedenen Adenoviren und teilweise auch mit Herpesviren oder dem Epstein-Barr-Virus infiziert, wie die Wissenschaftler berichten. In der US-Studie lag der Anteil solcher Tripel-Infektionen bei immerhin knapp 86 Prozent.

Hinzu kam: Der Großteil der Infektionen trat direkt nach Ende des ersten großen Corona-Lockdowns auf. Die Kinder hatten demnach teilweise wochen- oder monatelang ohne Kontakt mit anderen Kindern und weitgehend geschützt vor jeder Art der Infektion verbracht. „Es ist wahrscheinlich, dass dadurch die Immunität der Kinder gegen Adenoviren und AAV2 stark abgenommen hat“, erklären Sofia Morfopoulou vom University College London und ihre Kollegen. Dies könnte es den Viren ermöglicht haben, sich ungewöhnlich stark in den Leberzellen zu vermehren und so die Hepatitis auszulösen.

Diese Erklärung hält auch der nicht an den Studien beteiligte Hepatologe Frank Tacke von der Charité – Universitätsmedizin Berlin für plausibel: „Das Timing der Hepatitis-Ausbrüche ist auffällig: Die Welle der Hepatitis-Fälle traf mit der Lockerung der Corona-Maßnahmen weltweit zusammen und nahm dann relativ schnell ab“, schreibt Tacke in einem begleitenden „Nature“-Kommentar. Auch wenn die zellulären Mechanismen für diese Gelbsucht-Epidemie unter Kindern noch nicht vollstündig geklärt sind, legt dies nahe, dass die besonderen immunologischen Umstände während er Pandemie eine Rolle dafür spielten. (Nature, 2023; doi: 10.1038/s41586-023-05948-2; doi: 10.1038/s41586-023-06003-w; doi: 10.1038/s41586-023-05949-1)

Quelle: Nature, University of California – San Francisco

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