Medizin

Ursache für seltene Kinderkrankheit entdeckt

Biochemiker ermitteln Struktur und Funktionsweise eines wichtigen Enzyms

Ausschnitt aus der Struktur des FGE-Enzyms © Universität Bielefeld

Wissenschaftler der Universitäten Bielefeld und Göttingen haben einen weiteren wichtigen Schritt zum Verständnis einer seltenen Erbkrankheit bei Kindern getan. Sie konnten die Struktur und die Funktionsweise des Enzyms entschlüsseln, das für die stets tödlich verlaufende Erkrankung verantwortlich ist.

Bei der so genannten Multiplen Sulfatasedefizienz (MSD) sind alle Sulfatasen des Menschen inaktiv. Unter „Sulfatasen“ versteht man eine spezielle Gruppe von 16 Enzymen, die dafür sorgen, dass in den menschlichen Zellen Schwefelsäure-Gruppen bei einer Vielzahl von Molekülen abgespalten werden – Voraussetzung für die korrekte Entwicklung und das Funktionieren vieler Organsysteme, darunter auch des Nervensystems.

Vor zwei Jahren hatten Professor Thomas Dierks von der Universität Bielefeld und seine Gruppe damals noch in Göttingen das Gen entdeckt, dessen Defekt die fatale Krankheit verursacht. Die Sequenz dieses Gens verriet jedoch nicht die Funktionsweise des von dem Gen verschlüsselten Enzyms, das die Wissenschaftler Formylglycin-generierendes Enzym (FGE) nannten. FGE war der erste biochemisch beschriebene Vertreter einer neuartigen und doch schon in Bakterien vorhandenen Enzymfamilie, wies aber keine Verwandtschaft zu Enzymen auf, deren Funktion bereits bekannt war.

Kristalle des Enzyms gezüchtet

Durch gentechnologische Produktion konnte die Wissenschaftler nun genügend FGE herstellen, um Kristalle dieses Enzyms züchten zu können. Die Forscher konnten damit die räumliche Struktur von FGE aufklären. Diese Struktur in atomarer Auflösung erlaubte es, die in den MSD-Patienten gefundenen genetischen Veränderungen als Ursache für die Krankheit zu verstehen.

Darüber hinaus gab die Struktur aber den Forschern auch direkte Hinweise auf den Funktionsmechanismus dieses ungewöhnlichen Enzyms, welches eine einzigartige, bislang nur in den Sulfatasen nachgewiesene Aminosäure, das Formylglycin, erzeugt. Vor zehn Jahren hatten die Wissenschaftler diese neue Aminosäure entdeckt und gezeigt, dass Formylglycin für die Funktion der Sulfatasen essentiell ist.

FGE kontrolliert somit über die Formylglycin-Bildung die Aktivität der Sulfatase-Enyzme. Dies macht man sich mittlerweile auch in einem biotechnologischen Verfahren zunutze, in dem FGE eingesetzt wird, um bestimmte Sulfatasen effizient herzustellen, die zur Therapie einzelner Sulfatasedefizienz-Erkrankungen angewandt werden.

Enzym mit ungewöhnlicher Struktur

So ungewöhnlich wie die neuartige Aminosäure Formylglycin in den Sulfatasen, so ungewöhnlich ist auch die jetzt ermittelte Struktur des Formylglycin-erzeugenden Enyzms, das auf den ersten Blick ziemlich „unregelmäßig“ aussieht. Ganz offensichtlich braucht FGE für seine Funktion eine besondere Struktur. Außerdem ergaben sich klare Hinweise auf eine wiederum ungewöhnliche Aminosäure, diesmal im FGE, welche eine neuartige Oxidationsreaktion unter Nutzung von molekularem Sauerstoff zu vermitteln scheint.

Auch wenn diese Erkenntnisse erst noch bestätigt werden müssen, so ist jetzt schon klar, dass die FGE-Enzyme Sauerstoff auf erstaunlich einfache, bislang kaum für möglich gehaltene Weise nutzen können, nämlich ohne Beteiligung von Metallen oder anderen kompliziert aufgebauten Faktoren. Wie die Forscher in der Fachzeitschrift „CELL“ berichten, wollen sie ihre Methoden interdisziplinär einsetzen, um letztlich die genaue Funktionsweise dieser ungewöhnlichen Enzymfamilie aufzuklären.

(idw – Universität Bielefeld, 24.05.2005 – DLO)

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