Obwohl Millionen Menschen weltweit an Schizophrenie leiden, war bisher unklar, wo im Gehirn sie ihren Ursprung hat. Jetzt könnten Forscher das Areal identifiziert haben – es liegt in einer Unterstruktur des für das Gedächtnis wichtigen Hippocampus. Dort verursacht eine Genmutation die Überaktivität eines Glutamat-Rezeptors und steigert damit das Risiko für Schizophrenie um das 40-Fache.
Halluzinationen, Paranoia, Störungen der Eigenwahrnehmung und des Ich-Bewusstseins: Rund 20 Millionen Menschen weltweit leiden an einer Schizophrenie. Was diese psychische Erkrankung auslöst, ist jedoch noch nicht geklärt, auch wenn eine gewisse genetische Veranlagung als ein wichtiger Risikofaktor gilt. Tatsächlich wurden schon einige Risikogene für die Schizophrenie identifiziert, doch wie und wo sie wirken, ist unbekannt.
Rätsel um das SAP97-Gen
Dies gilt auch für das Risikogen mit der stärksten Auswirkung: SAP97. Studien belegen, dass Defekte in diesem Gen die Wahrscheinlichkeit einer Schizophrenie um das 40-Fache erhöhen. „Die reduzierte SAP97-Funktion verursacht damit die größte Zunahme des Schizophrenie-Risikos, die wir bisher beim Menschen kennen“, sagt Seniorautor Bruce Herring von der University of Southern California. „Aber die genaue Funktion von SAP97 ist seit Jahrzehnten ein Rätsel.“
Das Problem: Man weiß zwar, dass SAP97 zu einer Gruppe von Proteinen gehört, die für die Synapsenfunktion entscheidend sind und die die Reaktion auf den Neurotransmitter Glutamat beeinflussen. Doch bisher konnte man bei Trägern defekter SAP97-Gene keine Veränderungen im Hirnstoffwechsel dieses Neurotransmitters finden. Auch, wo im Gehirn sich dieses defekte Gen bemerkbar macht, blieb unklar.
Gyrus dentatus im Visier
Doch dem Team um Herring ist es nun erstmals gelungen, den Wirkort von SAP97 ausfindig zu machen – und gleichzeitig den möglichen Ursprungsort der Schizophrenie. Ausgangspunkt ihrer Studie war die Frage, ob möglicherweise der Gyrus dentatus für die Schizophrenie eine Rolle spielt. Diese Unterstruktur im Hippocampus ist die Eingangsstation zum Gedächtniszentrum des Gehirns und fungiert als eine Art Torwächter für eingehende Reize und Informationen.
Genau diese Torwächterfunktion scheint bei Schizophrenie gestört zu sein, so dass der Gyrus dentatus schon länger im Verdacht steht, eine Rolle bei diesem Leiden zu spielen. Für ihre Studie untersuchten Herring, Erstautor Yuni Kay und ihr Team, was bei Ratten im Gehirn abläuft, wenn bei ihnen das SAP97-Gen nur noch eingeschränkt funktioniert.
Gendefekt führt zu Übererregung im „Torwächter“
Es zeigte sich: Bei einem defekten SAP97-Gen kommt es zu einer Überregung der Synapsen im Gyrus dentatus. Die Neuronen feuern dadurch ähnlich stark und häufig, als wenn ihre Synapsen mit großen Mengen des Neurotransmitters Glutamat geflutet worden wären. Anders als in anderen Teilen des Hippocampus scheint SAP97 demnach vor allem im Torwächter des Gedächtniszentrums eine wichtige Rolle als dämpfender Regulator der Glutamat-Reaktion zu spielen, wie das Team berichtet.
Doch reicht dieser Effekt aus, um eine Schizophrenie auszulösen? „Studien legen nahe, dass viele Kernsymptome der Schizophrenie wie Halluzinationen, Desorganisation und Ich-Störungen auf Störungen in der Verarbeitung von kontextuellen Informationen bei der episodischen Gedächtnisbildung zurückgehen“, erklären Kay und ihre Kollegen.
Typische Symptome
Und bei dieser Gedächtnisbildung spielen offenbar der Gyrus dentatus und das SAP97-Protein eine wichtige Rolle, wie die Versuche mit Ratten zeigen: War das SAP97-Gen bei den Tieren defekt, war auch die Verarbeitung von Kontext-Informationen und Reizen während des Lernens gestört. „Das zeigt, dass eine Störung der SAP97-Funktion im Gyrus dentatus ausreicht, um Verhaltensdefizite auszulösen, wie sie auch bei Menschen mit Schizophrenie beobachtet werden“, aschreiben die Forschenden.
Nach Ansicht des Teams sprechen die Ergebnisse dafür, dass die Schizophrenie demnach eng mit der Funktion des Torwächters im Hippocampus verknüpft ist. Der Ursprung dieser psychischen Erkrankung könnte demnach in diesem Hirnareal liegen. Die Wissenschaftler wollen nun untersuchen, ob möglicherweise auch andere, schwächer wirkende Risikogene für die Schizophrenie die Funktion des Gyrus dentatus beeinträchtigen.
Hoffnung auf gezieltere Therapien
Sollte sich dieses Hirnareal als Ursprung der Schizophrenie bestätigen, dann könnte dies auch dazu beitragen, wirksamere Therapien gegen die Krankheit und ihre neurophysiologischen Ursachen zu entwickeln, so die Hoffnung von Kay und ihrer Kollegen. (Nature Communications, 2022; doi: 10.1038/s41467-022-28430-5)
Quelle: University of Southern California