Medizin

Vier Lebensphasen des Kalorienverbrauchs

Stoffwechsel verändert sich im Laufe unseres Lebens anders als bislang gedacht

Lebensphasen
Unser Stoffwechsel durchläuft im Laufe unseres Lebens vier Phasen – aber andere als bislang angenommen. © A_digit/ Getty images

Überraschend anders: Unser Stoffwechsel und unser Kalorienverbrauch durchlaufen während unseres Lebens vier Phasen – aber anders als bislang gedacht. So haben nicht Kinder im Wachstum oder Pubertierende den höchsten Energieverbrauch, sondern Säuglinge bis zu einem Jahr. Danach sinkt der Stoffwechsel ab, bis er ab 20 Jahren stabil bleibt. Der nächste Umbruch zu einem geringeren Gesamtumsatz erfolgt auch nicht in den Wechseljahren, sondern erst mit Anfang 60, wie Forscher im Fachmagazin „Science“ berichten.

Wie viele Kalorien verbrennen wir? Und welche Rolle spielt dafür unser Alter? Diese Fragen beschäftigen viele, die auf ihr Gewicht achten oder abnehmen möchten. Bekannt ist, dass unser Stoffwechsel etwa 50 bis 70 Prozent seiner Energie allein dafür benötigt, unsere Körperprozesse am Laufen zu halten – egal ob wir uns bewegen, wachen oder schlafen. Dieser Grundumsatz hängt vom Geschlecht, dem Alter, der Muskelmasse und sogar der Tageszeit ab. Die restlichen 30 bis 50 Prozent variieren deutlich stärker – wie stark und warum, war aber bislang kaum bekannt.

Rätsel Gesamtumsatz

„Wir wissen überraschend wenig über den Gesamtenergiebedarf des Menschen oder wie er sich im Laufe der Lebenszeit verändert“, erklären Herman Pontzer von der Duke University und seine Kollegen. Das liegt unter anderem daran, dass der Ruheumsatz zwar relativ gut im Labor gemessen werden kann. Für den Gesamtumsatz ist dies jedoch komplizierter, weil die Testpersonen dafür ihr normales Leben weiterführen müssen.

Um den Energieverbrauch eines Menschen in seinem Alltag zu messen, müssen Wissenschaftler daher tiefer in die Trickkiste greifen. Sie nutzen dafür sogenanntes doppelt markiertes Wasser, bei dem sowohl die Sauerstoff- als auch die Wasserstoffatome durch die jeweils selteneren, schwereren Isotope ausgetauscht sind. Die Testpersonen trinken dieses Wasser, dann wird gemessen, wie schnell die Isotope sich in ihrem Urin zeigen. Dies ermöglicht es den Forschenden, den Zellstoffwechsel nachzuverfolgen. Weil dieses Verfahren jedoch aufwendig und teuer ist, wurde es bislang nur bei kleineren Gruppen durchgeführt.

Vier große Phasen im Lebensverlauf

Das hat sich nun geändert. Pontzer und sein Team haben zum ersten Mal die Veränderungen des Gesamt-Kalorienverbrauchs bei 6.421 Frauen und Männern aus 29 verschiedenen Ländern und im Alter von acht Tagen bis zu 95 Jahren untersucht. Erstmals konnten sie so nachvollziehen, wie sich der Energiebedarf unseres Stoffwechsels von der Wiege bis zur Bahre verändert.

Das Ergebnis war auch für das Forschungsteam überraschend. „Es gibt eine Menge physiologischer Veränderungen, wenn wir aufwachsen und älter werden – Pubertät, Wechseljahre und anderes“, sagt Pontzer. Tatsächlich identifizierten er und seine Kollegen vier große Abschnitte unserer Stoffwechselaktivität. „Aber das Merkwürdige ist, dass das Timing unserer metabolischen Lebensphasen nicht mit diesen typischen Meilensteinen übereinstimmt“, so der Forscher.

Am aktivsten bei Säuglingen, absinkend in der Jugend

Die erste Überraschung: Den höchsten Gesamtumsatz haben Kinder nicht im Wachstum oder in der Pubertät, sondern als Säuglinge. Bis zum Alter von einem Jahr verbraucht ein Säugling 50 Prozent mehr Kalorien pro fettfreier Masse als ein Erwachsener. „Natürlich wachsen auch die Säuglinge in dieser Zeit. Aber ihr Energieverbrauch schießt weit höher als man anhand ihrer Körpergröße und Entwicklung erwarten würde“, sagt Pontzer. „Offenbar laufen in den Zellen des Babys Prozesse ab, die wir bisher noch nicht kennen.“

Ab dem Alter von einem Jahr verlangsamt sich der Stoffwechsel der Kinder allmählich – im Schnitt nimmt der Kalorienverbrauch um drei Prozent pro Jahr ab, wie das Team ermittelte. Anders als erwartet gab es während der Pubertät keine Wechsel oder Einschnitte. „Wir haben wirklich gedacht, dass die Pubertät anders sein würde, aber das ist sie nicht“, sagt Pontzer. Stattdessen nimmt der Gesamtumsatz des Stoffwechsels bis zum Alter von etwa 20 Jahren gleichmäßig weiter ab.

Abnahme des Gesamtumsatzes erst jenseits der 60

Die nächste Überraschung: Im Erwachsenenalter bleibt der Energieverbrauch stabil, zwischen 20 und gut 60 Jahren verändert sich im Gesamtumsatz so gut wie gar nicht. Selbst während der Schwangerschaft oder der Wechseljahre der Frau bleibt der gewichtsbezogene Stoffwechsel auf diesem Plateau, wie die Wissenschaftler berichten. Erst mit im Schnitt 63 Jahren beginnt die nächste Phase: Nun sinkt der Kalorienverbrauch um rund 0,7 Prozent pro Jahr.

Durch diese allmähliche Verlangsamung benötigt ein 90-jähriger Mensch rund 26 Prozent weniger Kalorien als ein Erwachsener im mittleren Alter. Anders als gedacht hängt diese Abnahme des Gesamtumsatzes aber nicht mit dem altersbedingten Verlust an Muskelmasse zusammen, wie Pontzer erklärt: „Wir haben das schon herausgerechnet. Die Abnahme liegt daran, dass die Zellen ihren Stoffwechsel verlangsamen.“

Neue Sicht auf den Stoffwechsel

Insgesamt ergibt sich dadurch dieses Bild: Um Säuglingsalter arbeiten unsere Zellen auf Hochtouren, um dann ihren Stoffwechsel im Laufe der Kindheit und Jugend allmählich auf das normale Erwachsenmaß zurückzuschrauben. Dann bleibt unser Gesamtumsatz bis zum Alter von etwa 63 Jahren stabil, um dann altersbedingt wieder langsam weiter abzusinken. Diese vier Phasen bleiben auch dann erkennbar, wenn Faktoren wie Bewegung und Lebensweise berücksichtigt werden, wie das Forschungsteam erklärt.

„All dies lässt uns zu dem Schluss kommen, dass der Gewebestoffwechsel – die Arbeit, die die Zellen verrichten – sich im Verlauf unseres Lebens auf eine Weise ändert, die uns zuvor nicht klar war“, sagt Pontzer. Er führt dies darauf zurück, dass es bislang keine Studien gab, die den Gesamtumsatz in einem so großen Umfang und an so vielen verschiedenen Testpersonen untersucht haben. „Man braucht einen großen Datensatz, um solche Fragen zu klären“, erklärt der Forscher. (Science, 2021; doi: 10.1126/science.abe5017)

Quelle: Duke University, American Association for the Advancement of Science (AAAS)

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