Virale Übeltäter: Forscher haben Hinweise darauf gefunden, dass Herpesviren an der Entstehung von Alzheimer beteiligt sein könnten. Sie wiesen im Gehirn verstorbener Patienten vermehrt Herpeserreger der Typen HHV-6A und HHV-7 nach. Die Gene dieser Viren scheinen mit menschlichen Risikogenen für Alzheimer zu interagieren, wie die Autoren im Fachmagazin „Neuron“ berichten – ein Indiz für eine potenzielle Beteiligung der Erreger an der Pathogenese.
Die genauen Ursachen und Auslöser der Alzheimer-Erkrankung sind noch immer unbekannt. Klar ist zwar, dass eine gewisse genetische Veranlagung bei der Entstehung dieser Demenz mitmischt. Daneben könnten aber auch zahlreiche andere Faktoren eine Rolle spielen. Diskutiert wird in diesem Zusammenhang beispielsweise der Einfluss von Rauchen, Stress, Ernährung und sogar Feinstaub und Aluminium.
Erreger im Verdacht
Zudem geraten immer wieder Krankheitserreger als mögliche Auslöser in Verdacht. Ob Bakterien oder Viren jedoch tatsächlich als Übeltäter infrage kommen, ist unter Wissenschaftlern hoch umstritten. Ben Readhead von der Icahn School of Medicine am Mount Sinai Hospital in New York und seine Kollegen liefern nun ein Argument für einen solchen Zusammenhang: Sie haben Hinweise darauf gefunden, dass bestimmte Herpesviren eine Rolle bei der Alzheimer-Entstehung spielen könnten.
Für ihre Studie untersuchten die Forscher Hirngewebeproben von 622 verstorbenen Alzheimer-Patienten und 322 Menschen ohne diese Erkrankung. Konkret verglichen und analysierten sie DNA- und RNA-Sequenzen dieser Proben.
Häufung von Herpesviren
Das überraschende Ergebnis: Im Gehirn der Alzheimerkranken fanden sich deutlich mehr DNA- und RNA-Spuren von Viren als bei den Kontrollpersonen. „Wir haben nicht gezielt nach Viren gesucht, aber ihre Präsenz schrie uns förmlich an“, berichtet Readhead. Vor allem die Konzentration von Herpesviren des Typs HHV-6A und HHV-7 fiel auf: Sie waren in den Hirnproben der Alzheimerpatienten bis zu zweimal so hoch wie in der Kontrollgruppe.
Die humanen Herpesviren 6A und 7 sind weit verbreitete Erreger: Rund 90 Prozent aller Menschen tragen sie seit ihrer Kindheit in sich – meist ohne, dass sich Beschwerden oder Symptome zeigen. „Wir können die Viren im Blut einer Person nachweisen. Wie aber finden wir heraus, ob sie aktiv sind und etwas tun, das für die Alzheimer-Erkrankung relevant sein könnte?“, sagt Readhead.
Verknüpfung mit Alzheimer-Genen
Um ihre Ergebnisse zu überprüfen, werteten der Forscher und seine Kollegen Informationen von 800 weiteren Proben aus zwei unterschiedlichen Datenbanken aus: Auch hier offenbarten sich die zuvor beobachteten Zusammenhänge. Zudem stellten das Team fest: Je mehr Spuren dieser Erreger im Gehirn der Patienten vorhanden waren, desto stärkere klinische Symptome hatten sie zu Lebzeiten gezeigt. Aber waren sie auch die Ursache dafür? Theoretisch könnten die Viren auch erst als Folge des geistigen Abbaus so geballt ins Gehirn vorgedrungen sein.
Um möglichen kausalen Zusammenhängen auf die Spur zu kommen, fahndeten die Wissenschaftler nun mittels Netzwerkanalysen nach möglichen Wechselwirkungen der Viren mit der DNA der Alzheimer-Patienten. Und sie wurden fündig: Bestimmte DNA-Varianten der Patienten waren mit einem gehäuften Auftreten der Herpesviren assoziiert – Genvarianten, die oftmals auch mit einem erhöhten Alzheimer-Risiko in Verbindung gebracht werden.
Interaktionen mit Folgen?
Die Forscher wollten nun wissen, ob und wie die Erreger im Gehirn möglicherweise mit diesen Erbgutabschnitten interagieren. Bekannt ist, dass Viren die Aktivität menschlicher Gene beeinflussen können und umgekehrt. Im Falle der Herpesviren scheint es dabei tatsächlich etliche Interaktionen zwischen Viren-Genen und Risikogenen für Alzheimer zu geben, wie das Team berichtet. Unter anderem waren die Viren an Netzwerken beteiligt, die die Vorläufer-Proteine der Amyloid-Plaques regulieren.
Dies könnte bedeuten, dass die Erreger im Gehirn Einfluss auf bestimmte Prozesse nehmen, die die Entstehung der Demenz fördern. „Dies sind die überzeugendsten jemals präsentierten Beweise dafür, dass Viren zum Entstehen und Fortschreiten von Alzheimer beitragen könnten“, sagt Readheads Kollege Sam Gandy. „Ob Herpesviren allerdings die Hauptursache der Erkrankung sind – das können wir nicht beantworten“, betont Seniorautor Joel Dudley von der Icahn School of Medicine.
Weitere Studien nötig
Klar ist: Es sind weitere Studien nötig, um die potenzielle Rolle der Herpeserreger für diese Form der Demenz genauer zu erforschen. Bestätigen sich die Ergebnisse und wissen Mediziner künftig mehr über die zugrundeliegenden biologischen Mechanismen, ergeben sich daraus womöglich neue Ansätze für die Diagnose und Therapie.
So könnten die Viren als Biomarker fungieren, aber auch Angriffspunkt für neue Medikamente werden. Doch das ist Zukunftsmusik: „Zum aktuellen Zeitpunkt ändern die neuen Erkenntnisse nichts an unseren Möglichkeiten, die Erkrankung zu behandeln“, betont Gandy. (Neuron, 2018; doi: 10.1016/j.neuron.2018.05.023)
(Cell Press/ Arizona State University/ National Institute on Aging/ Mount Sinai School of Medicine, 22.06.2018 – DAL/ NPO)