Statt Schmerzmittel? VR-Technologien helfen offenbar selbst bei starken Schmerzen. Wie eine Studie nahelegt, lindert das Eintauchen in virtuelle Welten die Beschwerden von Schmerzpatienten deutlich – und wirkt besser als andere Ablenkungsmaßnahmen. Interessanterweise hält der schmerzlindernde Effekt dabei bis zu 72 Stunden lang an. Damit könnte die VR-Therapie vielleicht sogar eine Alternative zur Einnahme von Schmerzmitteln sein.
In der Computerspiel-Branche ist die virtuelle Realität (VR) schon länger Trend. Doch zunehmend zeichnet sich ab, dass die Technologie auch Potenzial für die Medizin hat. Das Eintauchen in realitätsnahe, computergenerierte Welten kann Menschen zum Beispiel beim Überwinden von Ängsten und Traumata helfen. Auch Schmerzpatienten scheinen von virtuellen Therapien zu profitieren, wie erste Studien nahelegen. Forscher vermuten, dass die Erlebnisse in der anderen Realität Betroffene so sehr ablenken, dass sie ihre Schmerzen weniger stark wahrnehmen.
Wie gut dies jedoch bei Patienten mit sehr starken Schmerzen funktioniert, war bisher unklar. „Fast die Hälfte aller Patienten im Krankenhaus hat Schmerzen, ein Viertel davon werden als ‚unerträglich‘ wahrgenommen“, erklären Brennan Spiegel Cedars-Sinai Health System in Los Angeles und seine Kollegen. Oft helfen dann nur starke Schmerzmittel wie Opioide – doch diese Medikamente können süchtig machen und ihre Wirkung schwächt sich durch einen Gewöhnungseffekt nach einiger Zeit ab.
Ablenkung via VR-Brille
„Es besteht daher ein dringender Bedarf an nicht-pharmakologischen Behandlungsmethoden“, betonen die Mediziner. Ist die virtuelle Realität eine mögliche Alternative zur medikamentösen Schmerztherapie? Um dies herauszufinden, haben die Wissenschaftler nun mit 120 Patienten aus dem Cedars-Sinai Krankenhaus den Test gemacht. Die Studienteilnehmer hatten unterschiedliche Grunderkrankungen, litten jedoch alle unter Schmerzen, deren Stärke sie auf einer Skala von eins bis zehn mit höher als drei einstuften.
Für die Studie bekamen 61 der Probanden eine VR-Brille, über die sie unterschiedliche Erlebnisse machen konnten – von Entspannungsübungen in der Natur, über einen simulierten Flug bis hin zu animierten Spielen. Dabei erhielten sie die Anweisung, in den folgenden 48 Stunden dreimal für jeweils zehn Minuten in die VR-Welt einzutauchen. Die 59 anderen Teilnehmer sollten als Alternative im Fernsehen einen Gesundheits- und Wellnesssender einschalten, zu dessen Programm Entspannungskurse und Lyriklesungen gehörten.
Schmerz lässt nach
Die Ergebnisse offenbarten: „Die Wirkung der VR-Therapie übertraf die der Kontrollintervention deutlich“, berichtet Spiegel. So verminderten sich die wahrgenommenen Schmerzen in der Kontrollgruppe im Schnitt nur um 0,46 Punkte, in der VR-Gruppe dagegen um 1,72. Unter den Patienten mit sehr starken Schmerzen war die Überlegenheit der virtuellen Therapie sogar noch ausgeprägter.
Wer zuvor eine Schmerzstärke von über sieben angegeben hatte, erlebte durch die VR-Behandlung eine Verbesserung um durchschnittlich 3,04 Punkte. Das Fernsehen brachte in diesem Fall hingegen nur eine Linderung von 0,93. Interessant auch: Der positive Effekt der VR war nicht nur direkt nach der Interventionsphase messbar. Er zeigte sich auch noch 48 bis 72 Stunden später, wie Spiegel und sein Team berichten.
Ersatz für Opioide?
Nach Ansicht der Forscher legt dies nahe, dass die virtuelle Realität Schmerzpatienten erfolgreicher ablenken kann als andere Maßnahmen und dass dies bei starken Beschwerden besonders effektiv ist. Trotzdem sei noch vieles unklar: Welche Arten von virtuellen Realitäten dämpfen Schmerzen am besten? Gibt es bestimmte Patienten, die besonders gut auf diese Form der Behandlung ansprechen? Und können VR-Therapien tatsächlich den Bedarf an Opioiden senken?
„Das Feld der therapeutischen VR wird immer größer und entwickelt sich ständig weiter. Unsere Studie bestätigt den Nutzen dieser Technologie für das Schmerzmanagement bei Krankenhauspatienten. Es bleiben aber offene Fragen, die künftig eingehender untersucht werden sollten“, so das Fazit des Teams. (PLOS One, 2019; doi: 10.1371/journal.pone.0219115)
Quelle: PLOS