In Vietnam haben Wissenschaftler einen Stamm des Vogelgrippe-Virus isoliert, der sich als resistent gegen Oseltamivir, den Wirkstoff des Anti-Grippemittels Tamiflu, erwies. Tamiflu gilt weltweit als erste Linie der Verteidigung gegen eine Vogelgrippe-Pandemie.
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Forscher von der Universität von Wisconsin-Madison gemeinsam mit Kollegen in Vietnam und Japan berichten in einem Kurzartikel der nächsten Ausgabe der Zeitschrift Nature, dass ein junges vietnamesisches Mädchen, das vorbeugend eine Dosis des Antigrippemittels erhalten hatte, nachdem sie leichte Grippesymptome zeigte, eine Virusvariante entwickelte, der hoch resistent gegen den Wirkstoff war.
Nach Ansicht von Yoshihiro Kawaoka, einer international anerkannten Kapazität auf dem Gebiet der Influenzaforschung, könnte dies darauf hindeuten, dass Gesundheitsbehörden weltweit, die inzwischen Millionen Dosen des Wirkstoffs Oseltamivir für den Ernstfall eingelagert haben, sich schleunigst nach Alternativen umsehen sollten.
Tamiflu hemmt Virusausbreitung
„Dies ist unsere erste Verteidigungslinie“, erklärt der Forscher. „Diesen Wirkstoff halten viele Länder auf Vorrat und planen, sich in erster Linie auf ihn zu verlassen.“ Das Mittel soll, so sehe es die Katastrophenschutzpläne vor, nach dem Übertritt der Influenza auf den Menschen eingesetzt werden, um das Vorrücken einer Epidemie zu bremsen. Die Entwicklung eines Impfstoffs gegen die menschliche Form der Vogelgrippe ist im Vorhinein nicht möglich und dauert nach dem ersten Ausbruch der Seuche mindestens sechs Monate.
Tamiflu wirkt, indem es an eines der Oberflächenenzyme des Virus bindet und so verhindert, dass es aus einer infizierten Wirtszelle austritt. „Das Virus kann sich dann zwar noch immer im Inneren einer Zelle vermehren, aber es kann diese Zelle nicht mehr verlassen und so keine anderen Zellen befallen“, erklärt Kawaoka.
Oseltamivir ist eines von drei Substanzen, die gegen die Influenza wirken. Eine davon, Adamantin, gilt bereits jetzt als wenig effektiv, da einige Influenzaviren bereits Resistenzen dagegen entwickelt haben. Zanamivir, der zweite Kandidat, gilt zwar als effektiv, kann aber nicht oral als Tablette eingenommen werden und ist daher komplizierter in der Handhabung.
Weitere Resitenzentwicklungen erwartet
Wenn die Vogelgrippe den Sprung zum Menschen schafft und dann auch von Mensch zu Mensch übertragen werden kann – und alle Experten sind sich darüber einig, dass dies nur noch eine Frage der Zeit sein wird – dann könnte eine Pandemie in den Ausmaßen der Grippewelle von 1918 die Folge sein. Wirkstoffe wie Tamiflu sollen genau dies verhindern, indem sie die Ausbreitung des Virus hemmen.
Doch nach Ansicht von Kawaoka könnte es zu einem Problem werden, wenn die Länder zu wenig Tamiflu eingelagert haben. Werden deshalb zu geringe Dosen verabreicht, um den Wirkstoff auf mehr Menschen verteilen zu können, steigt das Risiko der Entwicklung von Resistenzen. Kawaoka riet daher, nur therapeutisch wirksame Dosen zu verabreichen, um ein weiteres Auftreten von resistenten Stämmen wie jetzt in Vietnam beobachtet, zu verhindern. „Wir haben diese Veränderungen im Virus erwartet“, erklärt der Wissenschaftler. „Dies ist die erste, aber wir werden noch andere erleben, darüber gibt es keinen Zweifel.“
(Universität von Wisconsin-Madison, 17.10.2005 – NPO)