Auslöser identifiziert: Forschende haben herausgefunden, wodurch die Morgenübelkeit und der Brechreiz bei schwangeren Frauen verursacht wird – und warum nicht alle Schwangeren darunter leiden. Schuld ist demnach ein vom Fötus produziertes Hormon. Entscheidend für die Schwere der Symptome ist jedoch nicht der Spiegel dieses GDF15-Hormons, sondern wie stark es ansteigt, wie das Team in „Nature“ berichtet. Die Erkenntnisse helfen, die komplexen hormonellen Veränderungen während der Schwangerschaft besser zu verstehen, und eröffnen neue Möglichkeiten, sie zu behandeln.
Bei etwa 70 Prozent aller Schwangerschaften leiden die Frauen unter wiederkehrendem Brechreiz und meist morgens auftretender Übelkeit. In seltenen Extremfällen, bei der sogenannten Hyperemesis gravidarum (HG), erbrechen die Frauen besonders häufig, dehydrieren dadurch und verlieren an Gewicht, was eine ernste Gefahr für Mutter und Kind darstellen kann.
Frühere Studien legten bereits nahe, dass das auf den Hirnstamm wirkende Proteinhormon GDF15 (Wachstumsdifferenzierungsfaktor 15) schuld an der Morgenübelkeit sein könnte. Dieses Hormon wird in geringen Mengen in allen Geweben unseres Körpers gebildet, tritt aber während der Schwangerschaft vermehrt auf. Doch über welchen Mechanismus es Übelkeit auslöst, war bislang unklar.
Hormonveränderungen im Fokus
Ein Team um Marlena Fejzo von der University of Southern California in Los Angeles ist dem nun in einer Serie von Untersuchungen in verschiedenen Krankenhäusern nachgegangen. An den einzelnen Analysen nahmen bis zu 300 Schwangere im ersten Trimester teil. Die Forschenden untersuchten jeweils, wie viel des Hormons GDF15 die Frauen in ihrem Blutplasma aufwiesen und befragten sie nach ihren Symptomen. Außerdem analysierten sie die Gene der Schwangeren und testeten den Effekt verschiedener Mutationen des GDF15-Gens in Zellen von Menschen und Mäusen.
Die Auswertung ergab, dass Schwangere tatsächlich häufiger unter Übelkeit litten, wenn sie erhöhte Werte an GDF15 in ihrem Blut aufwiesen. Zudem zeigte sich bei detaillierten Blutanalysen, dass der Fötus im Mutterleib den Großteil dieser zusätzlichen Hormonmenge produzierte und in den Körper der werdenden Mutter ausschüttete. Das vom ungeborenen Kind abgegebene Hormon trägt demnach entscheidend zur Schwangerschaftsübelkeit bei.
Hormonlevel vor der Schwangerschaft ist entscheidend
Doch warum leiden einige schwangere Frauen stärker darunter als andere? Das zeigte ein „Vorher-Nachher“-Vergleich: Die Frauen, die vor der Schwangerschaft nur wenig GDF15 im Blut hatten, litten später erstaunlicherweise meist stärker unter der Übelkeit. Für sie stieg auch das Risiko, eine Hyperemesis gravidarum zu entwickeln. Ein besonders geringer Hormonspiegel vorher und hohes HG-Risiko während der Schwangerschaft kamen vor, wenn die Frauen eine seltene Mutation in ihrem GDF15-Gen besaßen, wie Fejzo und ihre Kollegen anhand der Genanalysen ermittelten.
Interessant jedoch: Diese Genmutation verursachte keine verstärkte Schwangerschaftsübelkeit, wenn auch der Fötus sie geerbt hatte. Denn dann produzierte auch er nur wenig von diesem Hormon und der GDF15-Spiegel der Schwangeren änderte sich kaum, wie einige Fälle zeigten. „Das würde erklären, warum manche Frauen nur bei einem Teil ihrer Schwangerschaften eine HG entwickeln“, sagt Fejzo.
Umgekehrt sank das Übelkeits-Risiko, wenn die Frauen schon vor der Schwangerschaft hohe GDF15-Werte hatten, berichten die Forschenden. Besonders ausgeprägt kommt dies vor, wenn die Frauen unter Beta-Thalassämie leiden, einer vererbbaren Bluterkrankung.
Schwangere sind unterschiedlich sensibel
Die Forschenden schließen daraus, dass nicht allein die absolute Konzentration des Hormons GDF15 für die Schwangerschaftsübelkeit verantwortlich ist, sondern vor allem die Veränderung des GDF15-Spiegels. Ist er schon vorher hoch oder nimmt nur wenig zu, bleibt die Übelkeit schwach oder ganz aus. Steigt der GDF15-Gehalt dagegen durch die Schwangerschaft stark an, leidet die werdende Mutter stärker unter dem Brechreiz.
Das erklärt, warum nicht alle Frauen in gleichem Maße unter dieser Übelkeit leiden. „Wir wissen jetzt, dass Frauen während der Schwangerschaft krank werden, wenn sie höheren Mengen des Hormons GDF15 ausgesetzt sind, als sie es gewohnt sind“, sagt Fejzo. „Das im Mutterleib heranwachsende Baby produziert ein Hormon in einem Ausmaß, an das die Mutter nicht gewöhnt ist. Je empfindlicher sie auf dieses Hormon reagiert, desto kränker wird sie“, erklärt Seniorautor Stephen O’Rahilly von der University of Cambridge.
Die Erkenntnisse helfen insgesamt zu verstehen, welche komplexen hormonellen Veränderungen während der Schwangerschaft auftreten. Darüber hinaus eröffnen sie neue Möglichkeiten, die Übelkeit bei Schwangeren effektiv zu behandeln, insbesondere bei der Hyperemesis gravidarum. „Jetzt, da wir die Hauptursache verstehen, sind wir hoffentlich der wirksamen Behandlung von HG einen Schritt nähergekommen“, ergänzt Fejzo.
Neue Behandlungen in Sicht
Möglicherweise könnten die Symptome gemildert werden, indem die Frauen vor der Schwangerschaft geringen Mengen GDF15 ausgesetzt werden, um sie auf erhöhte Hormonspiegel vorzubereiten. Erste Versuche an Mäusen ergaben, dass dieser Ansatz funktionieren könnte, berichten die Wissenschaftler. Klinische Studien müssen dies jedoch noch für den Menschen bestätigen.
Ein anderer Ansatz sieht vor, die Menge an wirksamem GDF15 während der Schwangerschaft durch Medikamente zu senken. Das wäre etwa durch GDF15-Blocker möglich, die bereits in klinischen Studien gegen Übelkeit bei Krebspatienten getestet werden. „Unsere Studie liefert erstmals Beweise dafür, dass niedrigere GDF15-Werte während einer Schwangerschaft sicher sein können“, betont Fejzo. Bei Schwangerschaften, bei denen sowohl die Mutter als auch der Fötus die Mutation mit niedrigem GDF15-Gehalt aufwiesen, wurden die Babys normal und gesund geboren, berichten die Forschenden. Das deute darauf hin, dass die Senkung des GDF15-Spiegels während der Schwangerschaft ein sicherer Weg zur Vorbeugung von HG sein könnte.
Die Studie „wird wahrscheinlich weitere Untersuchungen und den Wunsch nach klinischen Studien im Bereich schwangerschaftsbedingter Krankheiten auslösen“, schreiben Alice Hughes and Rachel Freathy von der University of Exeter in einem begleitenden Kommentar. Diese könnten dann vielleicht auch die Frage klären, welchen evolutionären Zweck die Schwangerschaftsübelkeit erfüllt. (Nature, 2023; doi: 10.1038/s41586-023-06921-9.; doi: 10.1038/s41586-023-06921-9)
Quelle: Keck School of Medicine an der University of Southern California; University of Cambridge