Genetik

Warum sterben nur Menschen an Herzinfarkt?

Ein Genverlust machte unsere Spezies anfälliger für Arteriosklerose

Herzinfarkt
Herzinfarkte kommen in der Tierwelt äußerst selten vor. Die einzige Ausnahme: der Mensch. © Stevanovicigor/ iStock.com

Reine Menschensache: Der Mensch ist das einzige Säugetier, das einen klassischen Herzinfarkt erleidet. Forscher haben nun eine mögliche Erklärung dafür gefunden. Wie sie berichten, scheint der Verlust eines Gens vor zwei bis drei Millionen Jahren eine entscheidende Rolle für unser Herzinfarkt-Risiko zu spielen. Denn ohne dieses bei den meisten anderen Säugetieren vorhandene Gen sind die Gefäße offenbar anfälliger für Arteriosklerose – der Hauptursache für Herzinfarkt und Schlaganfall.

Arteriosklerose kann gefährliche Folgen haben: Die krankhafte Einlagerung von Fetten in die Gefäßinnenwände führt zur Bildung sogenannter Plaques, die durch Auslöser wie Anstrengung oder Blutdruckschwankungen plötzlich aufbrechen können. Dabei entstehen in der Folge Blutgerinnsel, die die Gefäße verstopfen – es kommt zum Herzinfarkt oder Schlaganfall.

Beim Menschen ist dieses umgangssprachlich oft Arterienverkalkung genannte Phänomen eine der weltweit häufigsten herz- oder gefäßbedingten Todesursachen. Interessanterweise steht unsere Spezies damit ziemlich alleine dar. Denn durch Arteriosklerose ausgelöste Herzinfarkte kommen bei anderen Säugetieren so gut wie gar nicht vor.

Erklärung im Erbgut?

Sogar unsere engsten Verwandten, die Schimpansen, kennen dieses gesundheitliche Leiden nicht. Das gilt selbst für in Gefangenschaft gehaltene Tiere, die oft bekannte Risikofaktoren wie hohe Blutfettwerte, Bluthochdruck und mangelnde körperliche Betätigung mit dem Menschen gemein haben.

Was ist der Grund für die besondere Anfälligkeit unserer Art für Arteriosklerose? Nissi Varki von der University of California in San Diego und ihre Kollegen haben nun eine mögliche Erklärung gefunden: in unserem Erbgut. Wie die Wissenschaftler berichten, fehlt Menschen im Gegensatz zu den meisten anderen Säugetieren ein Gen namens CMAH. Dieser DNA-Abschnitt enthält die Bauanleitung für ein Enzym, das die Bildung von N-Glycolylneuraminsäure (Neu5Gc) katalysiert, eine Verbindung aus der Klasse der Sialinsäuren.

Stärker „verkalkt“

Könnte dieser Genverlust eine Rolle für unser erhöhtes Herzinfarkt-Risiko spielen? Diese Theorie überprüften die Wissenschaftler mithilfe von genetisch veränderten Mäusen, denen das CMAH-Gen fehlte. Dabei zeichnete sich ab: Die betroffenen Nager waren wesentlich anfälliger für Arteriosklerose als Kontrolltiere ohne Gendefekt. Im Schnitt waren die Gefäße bei diesen Mäusen fast zweimal so stark „verkalkt“ wie bei ihren nicht veränderten Artgenossen.

„Dieses erhöhte Risiko scheint mit mehreren Faktoren zusammenzuhängen. Unter anderem neigten die Mäuse mit dem menschentypischen Genverlust zu Diabetes und ihre weißen Blutkörperchen waren übermäßig aktiv“, berichtet Nissi Varkis Kollege Ajit Varki. „Dies könnte erklären, warum selbst Menschen ohne offensichtliche kardiovaskuläre Risikofaktoren anfällig für Herzinfarkt und Schlaganfall sind, während ihre evolutionären Verwandten dieses Problem nicht haben.“

Genetisch prädisponiert

Wie die Forscher erklären, nimmt der Mensch auch über die Nahrung regelmäßig Neu5Gc auf – der Stoff steckt vor allem in rotem Fleisch. Aus diesem Grund testeten sie, wie sich eine Neu5Gc- und fettreiche Ernährung auf die Mäuse ohne CMAH-Gen auswirkte. Das frappierende Ergebnis: Als Folge ihrer speziellen „Diät“ verstärkte sich die Arteriosklerose bei den Nagern noch einmal um das 2,4-Fache – eine Verschlimmerung, die dem Team zufolge nicht allein durch Veränderungen der Blutfett- oder Blutzuckerwerte erklärt werden konnte.

„Der Verlust von CMAH im Laufe der menschlichen Evolution scheint mit einer Prädisposition für Arteriosklerose – sowohl durch innere, als auch durch äußere Faktoren wie die Ernährung – einhergegangen zu sein“, erklären Varki und ihre Kollegen.

Folgenreicher Genverlust

Doch wann und warum kam uns dieses offenbar wichtige Gen überhaupt abhanden? Dem Wissenschaftlerteam zufolge muss das CMAH-Gen vor rund zwei bis drei Millionen Jahren im Erbgut unserer Vorfahren stummgeschaltet worden sein. Demnach sorgte eine Mutation damals für die Inaktivierung dieses DNA-Abschnitts. Möglicherweise, so eine Vermutung, wurde dies durch einen Malariaerreger provoziert, der die Sialinsäure Neu5Gc erkennen konnte.

Was somit als Schutz gegen Malaria fungiert haben könnte, erweist sich heute als Nachteil für unsere Gefäßgesundheit. Allerdings ist das erhöhte Arteriosklerose-Risiko nicht die einzige Veränderung, die Forscher mit dem CMAH-Verlust in Verbindung bringen. Auch unsere im Vergleich zu anderen Tieren reduzierte Fruchtbarkeit könnte evolutionsgeschichtlich damit zusammenhängen, ebenso wie die Fähigkeit, über lange Distanzen zu rennen. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2019; doi: 10.1073/pnas.1902902116)

Quelle: University of California San Diego

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