Neurobiologie

Warum Süßstoff weniger glücklich macht als Zucker

Forscher entdecken Darm-Hirn-Signalweg, der nur auf Glukose reagiert

Zucker
Echter Zucker löst in unserem Gehirn ein ganz eigenes Wohlgefühl aus – Süßstoff dagegen nicht. © foodandwinephotography/ iStock.com

Eigener Schaltkreis: Wenn es um Zucker geht, lässt sich unser Gehirn nicht täuschen – es erkennt Süßstoff als „Fake“. Warum, haben nun Forscher herausgefunden. Demnach gibt es einen Signalweg vom Darm zum Gehirn, der nur bei Präsenz von Glukose im Darm anspringt. Erst wenn dieses Signal im Stammhirn eintrifft, setzt das fürs Nachen typische wohlige Gefühl ein, wie die Wissenschaftler im Fachmagazin „Nature“ berichten.

Unsere Vorliebe für Süßes ist tief in unserer Natur verankert. Denn für unsere Vorfahren war die Süße ein Signal für besonders energiereiche und damit wertvolle Nahrungsmittel. Deshalb sorgt ein von zuckerhaltigen Lebensmitteln ausgelöstes Wohlgefühl dafür, dass wir immer wieder Lust auf Schokolade, Eis und Co bekommen. Die Reaktion des Belohnungssystems auf Zucker kann sogar suchtähnliche Züge annehmen.

Das Problem: Zucker hat viele Kalorien, weshalb viele Getränke und Lebensmittel mit Süßstoffen als Zuckerersatzstoffen hergestellt werden. Doch inzwischen mehren sich die Hinweise darauf, dass Süßstoffe ungesunde Nebenwirkungen haben und sogar Diabetes-Vorstufen fördern können. Gleichzeitig lösen die Zuckeraustauschstoffe oft eher die Lust auf noch mehr Süßes aus, statt den Süßjieper zu befriedigen.

Klare Vorliebe für echten Zucker

Aber warum? Das haben nun Hwei-Ee Tan und seine Kollegen von der Columbia University in New York untersucht. Dafür testen sie zunächst die Reaktion Mäusen auf eine Zucker- und eine Süßstofflösung. Wenn sie zwischen einem künstlichen Süßstoff und Zucker wählen dürfen, trinken die Tiere zunächst von beiden Flaschen gleich viel“, berichten die Forscher. „Aber schon nach 24 Stunden ändert sich ihre Vorliebe deutlich und nach 48 Stunden trinken sie fast nur noch die Zuckerlösung.“

Das bedeutet: Obwohl die Geschmackszellen im Mund in beiden Fällen den Verzehr von Süßem signalisieren, scheint das Gehirn der Tiere einen Unterschied zu erkennen. Aber wie? Gängiger Theorie nach ist es allein der Süßgeschmack kombiniert mit einer Kalorienaufnahme, der dem Gehirn signalisiert „Zucker!“. Doch wie ein weiteres Experiment ergab, zeigten auch Mäuse, die wegen defekter Süßrezeptoren keine Süße mehr schmecken konnten, eine klare Vorliebe für zuckerhaltige Lösungen – Wasser oder Süßstofflösungen ließen sie links liegen.

Zuckerreaktion im Gehirn
Spezielle Zellen im Stammhirn (gelb) reagieren nur, wenn im Darm Glukose präsent ist. © Tan et al./Nature 2020

Zucker aktiviert eigenes Hirnareal

„Wir müssen die Konzepte von Süße und Zucker voneinander trennen“, erklärt Seniorautor Charles Zucker. „Die unstillbare Lust der Tiere auf den Zuckerkonsum gegenüber dem bloß süßen Getränk spricht dafür, dass es eine eigene neurologische Basis gibt.“ Tatsächlich entdeckten die Forscher anhand von Hirnscans, dass im Gehirn der Mäuse ein bestimmtes Areal im Stammhirn aktiv wurde, wenn in ihrem Darm Zucker präsent war.

„Dieser caudale Nucleus solitarius (cNST) leuchtete auch auf, wenn wir den Zucker an den Süßrezeptoren der Zunge vorbei direkt in den Darm applizierten“, berichtet Tans Kollege Alexander Sisti. „Irgendetwas muss ein entsprechendes Signal direkt vom Darm zum Gehirn übermittelt haben.“ Ihre Vermutung: Möglicherweise gibt es Rezeptoren im Darm, die ihr Signal über den Vagusnerv direkt ins Gehirn senden. Dieser Nerv gilt als wichtige Verbindung zwischen Kopf- und „Bauchgehirn„.

Ein Darm-Hirn-Signalweg nur für Glukose

Weitere Tests bestätigten dies: „Indem wir die Nervenzell-Aktivität im Vagusnerv aufzeichneten, konnten wir eine Gruppe von Zellen identifizieren, die auf Zucker reagieren“, berichtet Sisti. Die Reaktion der auf diesen Zellen sitzenden SGLT-1-Rezeptoren erwies sich als hochgradig spezifisch für Glukose. Auf Süßstoffe oder Fructose dagegen sprachen sie nicht an, wie die Forscher berichten.

„Damit haben wir zum ersten Mal einen direkten Signalweg gefunden, der Zucker erkennt und seine Präsenz vom Darm zum Gehirn meldet“, sagt Tan. Erst wenn dieses Signal eintrifft, löst dies im Gehirn das wohlige Gefühl der Süßsättigung aus, das wir nach dem Naschen empfinden. Demnach sind das Süßsignal von der Zunge und das Zuckersignal aus dem Darm voneinander unabhängig – und ohne das Darmsignal bleibt der „Zuckerflash“ aus.

Ansatzstelle für bessere Süßstoffe?

„Wenn wir Süßstoff statt Zucker in unseren Kaffee tun, schmeckt uns das zwar gleich, aber unser Gehirn erkennt den Unterschied“, so Tan. Das erklärt, warum Süßstoffe nicht die gleiche Süßsättigung auslösen wie echter Zucker – und eröffnet gleichzeitig neue Möglichkeiten, bessere Zuckerersatzstoffe zu produzieren.

„Die Entdeckung dieses spezialisierten Darm-Hirn-Signalwegs für Zucker könnte Süßstoffen den Weg ebnen, die nicht nur unsere Zunge austricksen, sondern auch unser Gehirn“, erklärt Tan. (Nature, 2020; doi: 10.1038/s41586-020-2199-7)

Quelle: Howard Hughes Institute, Zuckerman Institute at Columbia University

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