500 Jahre altes Rätsel gelöst: Die Innenwände unserer Herzkammern sind mit einer komplexen Struktur ausgekleidet – das wusste schon Leonardo da Vinci. Doch wozu sie dient und wie sie strukturiert ist, haben Forscher erst jetzt aufgeklärt. Demnach sind diese Trabekel nicht nur fraktal strukturiert, ihre Komplexität ist auch eng mit der Pumpfunktion des Herzens verknüpft. Je komplexer die Trabekel, desto besser die Herzleistung, wie Forscher im Fachmagazin „Nature“ berichten.
Schon Leonardo da Vinci beobachtete, dass die Wände der menschlichen Herzkammern innen mit einem komplexen Geflecht aus Herzmuskelfasern ausgekleidet sind. Anders als bei den großen Blutgefäßen ist die Wand der Ventrikel dadurch nicht glatt, sondern eher schwammartig. Diese sogenannten Trabeculae bilden eine vielfach verzweigte Übergangschicht zwischen dem massiven Herzmuskel und dem Innenraum der Kammern.
Mehr als nur ein Relikt aus der Embryonal-Zeit?
Inzwischen weiß man, dass die Trabekel beim frühen Embryo eine wichtige Rolle für die Versorgung des Herzmuskels spielen: „Bevor die Herzkranzgefäße voll ausgebildet und durchblutet sind, ermöglicht die große Oberfläche der Trabekel die Diffusion von Nährstoffen und Sauerstoff aus dem Blut in den Herzmuskel“, erklären Hannah Meyer vom Cold Spring Harbor Laboratory in New York und ihre Kollegen.
Doch wozu dienen die Herz-Trabekel bei Erwachsenen? Haben sie bei ihnen überhaupt noch eine Funktion oder sind sie nur ein Relikt aus pränatalen Zeiten? Seit da Vinci sind diese Fragen unbeantwortet. Um dieses 500 Jahre alte Rätsel zu lösen, haben nun Meyer und ihr Team hochauflösende Magnetresonanz-Tomografie-Aufnahmen der Herzen von gut 18.000 Menschen analysiert. Dabei nutzten sie eine künstliche Intelligenz, um die komplexen Strukturen der Trabekel zu kategorisieren und nach Zusammenhängen mit der Herzleistung zu suchen.
Je komplexer die fraktale Struktur, desto besser für das Herz
Das Ergebnis: Die Muskelfaser-Netzwerke an den Wänden der Herzkammern sind fraktal aufgebaut – und sie beeinflussen die Herzleistung. Je komplexer die Verzweigungen der Trabekel bei den Studienteilnehmern waren, desto besser pumpte das Herz. „Eine höhere fraktale Dimension war mit einem größeren Herzschlagvolumen, einer stärkeren Pumpleistung und einem besseren Herzzustand verknüpft“, berichten Meyer und ihr Team.
Dieser Effekt bestätigte sich auch in einem biomechanischen Modell der linken Herzkammer, in dem die Forscher die fraktale Komplexität der Trabekel nach Belieben verändern konnten. „Auch da konnten wir den Effekt auf den Herzschlag und die Kontraktilität beobachten“, berichten sie. Ähnlich wie die eingedellte Oberfläche eines Golfballs den Luftstrom im Flug optimiert, scheinen die Trabekel den Blutstrom im Herzen zu verbessern.
Genetische Basis entschlüsselt
Damit scheint klar: Diese fraktalen Strukturen sind kein bloßes Relikt der Embryonalzeit, sondern auch für das erwachsene Herz noch nützlich. „Leonardo da Vinci zeichnete diese feinen Muskelfasern im Herzen schon vor 500 Jahren, aber erst jetzt beginnen wir zu verstehen, wie wichtig sie für die menschliche Gesundheit sind“, sagt Koautor Declan O’Regan vom Imperial College London.
Im Rahmen ihrer Studie haben die Wissenschaftler auch erstmals aufgeklärt, welche Gene die Ausbildung der Herz-Trabekel steuern. Mithilfe von genomweiten Vergleichsanalysen identifizierten sie 16 Genorte, die eng mit den kardialen Muskelfaserstrukturen und ihrer Form verknüpft sind. Zehn dieser Genorte kontrollieren zusätzlich noch andere Aspekte der Herzfunktion, wie die Pulsrate, die Struktur der linken Herzkammer und die Dauer eines Ausschlagskomplexes im EKG.
„Unsere Ergebnisse geben uns damit einen ganz neuen Einblick in die Bedeutung der myokardialen Trabeculae“, sagt Meyer. Sie und ihre Team hoffen, dass die neuen Erkenntnisse auch dazu beitragen können, die Ursachen für einige Herzkrankheiten aufzuklären. (Nature, 2020; doi: 10.1038/s41586-020-2635-8)
Quelle: Cold Spring Harbor Laboratory