Sehen, was nicht da ist

LSD lässt Hirnareale zusammenarbeiten, die sonst wenig miteinander zu tun haben © PNAS
Die Hirnscans offenbaren, dass unser Gehirn unter LSD-Einfluss ungewöhnliche Verknüpfungen herstellt. Es zeigte sich: Während Informationen von unseren Augen normalerweise durch das Sehzentrum im Gehirn verarbeitet werden, leisten unter der Einwirkung des Halluzinogens plötzlich auch viele andere Hirnregionen ihren Beitrag bei der visuellen Verarbeitung.
Die Probanden sahen deshalb Dinge, die gar nicht da waren – und sie erlebten sogar optische Halluzination, wenn ihre Augen geschlossen waren. Je traumähnlicher den Konsumenten ihr Erleben dabei schien, desto mehr Hirnregionen beteiligten sich an der visuellen Prozessierung. „Die Teilnehmer sahen viel mehr Dinge aus ihrer Phantasie als aus der realen Welt um sie herum“, sagt Carhart-Harris.
Getrennte Netzwerke verschmelzen
Doch nicht nur beim Sehprozess arbeiteten unter LSD-Einfluss Hirnareale zusammen, die sonst wenig miteinander zu tun haben. Auch wenn die Probanden von extremen Bewusstseinsveränderungen berichteten, zeigte sich das auf den Hirnbildern durch abweichende Vernetzungsmuster.
„Normalerweise besteht unser Gehirn aus voneinander unabhängigen Netzwerken, die für spezielle Funktionen zuständig sind – zum Beispiel für Sehen, Bewegung, Hören oder komplexere Dinge wie Aufmerksamkeit“, erklärt Carhart-Harris. „LSD löst diese Trennung der einzelnen Netzwerke jedoch auf.“ Unter LSD werde das Gehirn zu einer Einheit.
Gehirn wird zum Kind

Psychedelische Welt: Halluzinogene verändern unsere Wahrnehmung © Palo Perez/ freeimages
Damit ähnelt das Gehirn unter dem Einfluss der Droge dem Gehirn eines Kindes, wie die Forscher berichten. „Erst im Laufe des Erwachsenwerdens unterteilt sich unser Gehirn mehr und mehr in einzelne Funktionsbereiche. Dadurch werden wir fokussierter, aber auch unbeweglicher in unserem Denken. LSD versetzt unser Gehirn sozusagen in den freien und zwanglosen Zustand der Kindheit zurück.“
Durch diesen Effekt lässt sich den Forschern zufolge erklären, warum LSD oftmals zu einer Art Entgrenzungserfahrung führt. Konsumenten nehmen ihr eigenes Ich dann auf einmal ganz anders wahr als sonst – und empfinden das oftmals als eine spirituelle oder religiöse Erfahrung.
Besseres Verständnis
In einer weiteren Studie untersuchten die Wissenschaftler, wie das Halluzinogen und Musik zusammenwirken. Dabei stellten sie fest: Bekommen Probanden nicht nur LSD verabreicht, sondern auch Klänge auf die Ohren, wird der Parahippocampus im Gehirn stärker aktiviert. Dieser ist unter anderem für mentale Bilder und Erinnerungen zuständig.
Für Carhart-Harris und seine Kollegen ermöglichen die neuen Erkenntnisse ein besseres Verständnis von LSD und seiner Wirkung auf das menschliche Gehirn. Sie seien ein wichtiger Schritt, um auch den möglichen therapeutischen Nutzen der Droge besser einschätzen zu können. In Zukunft, so die Hoffnung, könnte LSD – vielleicht auch in Kombination mit Musik – zum Beispiel Menschen mit Depressionen oder Abhängigkeiten helfen. (The Proceedings of the National Academy of Sciences, 2016; doi: 10.1073/pnas.1518377113)
(Imperial College London, 13.04.2016 – DAL)
13. April 2016