Leck in der Darmwand: Eine „undichte“ Darmbarriere führt bei stark Übergewichtigen offenbar dazu, dass Bakterien vom Darm in den Körper gelangen. Das Interessante: Wie viele und welche Arten von Mikroben sich dabei zum Beispiel im Fettgewebe nachweisen lassen, hängt davon ab, ob die fettleibigen Patienten an Diabetes Typ 2 leiden oder nicht. Forscher vermuten daher, dass die aus dem Darm entkommenen Keime bei der Entstehung der Zuckerkrankheit mitmischen könnten.
In unserem Darm tummeln sich unzählige Bakterien, die eine wichtige Rolle für unsere Gesundheit spielen. Der Rest unseres Körperinneren ist dagegen weitestgehend steril. Denn die Darmwand verhindert, dass mikrobielle Organismen der Darmflora ins Blut oder andere innere Gewebe eindringen können – normalerweise. Durch bestimmte Erkrankungen kann diese Barriere jedoch gewissermaßen undicht werden und mehr hindurchlassen als sie sollte.
„Darmbakterien und Fragmente davon können die Darmbarriere nachweislich passieren“, erklären Fernando Anhe von der Laval Universität in Québec und seine Kollegen. Bekannt ist etwa, dass die Darmschleimhaut bei Menschen mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen und Autoimmunstörungen durchlässiger ist als bei Gesunden. Zudem scheint auch Übergewicht die Durchlässigkeit der Barriere erhöhen zu können. Möglicherweise spielt dies sogar für die Entstehung von Folgeerkrankungen wie Diabetes eine Rolle, legen Untersuchungen nahe.
Bakterien im Gewebe auf der Spur
Um diesem Zusammenhang näher auf den Grund zu gehen, haben die Wissenschaftler nun Gewebe von 40 Patienten analysiert, die sich wegen starker Fettleibigkeit einem chirurgischen Eingriff wie einer Magenverkleinerung unterzogen hatten. Die Hälfte dieser Probanden litt an Diabetes Typ 2, die anderen waren zwar bereits Insulin resistent, aber noch nicht zuckerkrank.
Im Zuge der Operationen wurden Proben von Blut, Leber und drei unterschiedlichen Fettgewebetypen genommen. Anhe und sein Team analysierten für ihre Studie dann die mikrobielle DNA, die sich in diesen Geweben befand. Würden sich Unterschiede zwischen den Diabetikern und den Nicht-Diabetikern feststellen lassen?
Unterschied zwischen Diabetikern und Nicht-Diabetikern
Tatsächlich enthüllten die Auswertungen: Die Art und Menge der gefundenen Bakterien-DNA unterschied sich nicht nur von Gewebe zu Gewebe – so wiesen die Forscher am meisten bakterielles Erbgut in der Leber und im sogenannten Omentum majus nach, einer fettreichen Struktur zwischen Magen und Darm. Auch zwischen den beiden Probandengruppen zeigten sich auffällige Unterschiede, wie das Team berichtet.
Konkret offenbarten die Ergebnisse sowohl die Anwesenheit typischer Darmbakterien als auch Mikroben, die normalerweise in der Umwelt – etwa in Wasser und Böden – vorkommen. Dabei zeigte sich eine einzigartige mikrobielle Signatur, die für Patienten mit Typ-2-Diabetes charakteristisch zu sein scheint. „Am deutlichsten war diese Signatur im mesenterialen adipösen Fettgewebe im Dünndarmbereich“, erklären die Wissenschaftler. Unter anderem hatten die Diabetiker weniger grampositive Bakterien, dafür aber mehr gramnegative Mikroben wie Enterobacteriaceae in ihrem Körper – darunter auch potenziell krankmachende Keime.
Fatale Entzündungsreaktion?
Was bedeuten diese Befunde nun? Erstens bestätigen sie, dass bakterielle DNA bei Übergewichtigen vielfach auch außerhalb des Darms zu finden ist. Zweitens liefern sie neue Hinweise auf die Diabetes-Entstehung: „Unsere Ergebnisse legen nahe, dass bei Menschen mit starker Adipositas Bakterien oder Bakterienfragmente mit der Entwicklung von Typ-2-Diabetes zusammenhängen könnten“, sagt Anhes Kollege André Marette.
Demnach beeinflusst womöglich die Art und Menge der in den Körper gelangten Mikroben, ob Betroffene eine Zuckerkrankheit entwickeln oder nicht. „Unsere Hypothese ist, dass die Bakterien die Darmbarriere überwinden und dann einen entzündlichen Prozess auslösen, der letztendlich verhindert, dass das Insulin seine Aufgabe erfüllt: die Regulierung der Glucose-Konzentration im Blut“, beschreibt der Forscher einen denkbaren Wirkmechanismus.
Weitere Forschung nötig
Allerdings: Ob dies wirklich stimmt, können erst weitere Untersuchungen zeigen. So ist zum Beispiel unklar, ob die in den Proben gefundene DNA von lebenden Bakterien oder toten Fragmenten stammt – ein wichtiger Aspekt, um mögliche Wirkungen der Mikroben im Körper zu bestimmen. In einem nächsten Schritt wollen die Forscher daher untersuchen, ob die bei den Diabetes-Patienten identifizierten Keime im Tiermodell wirklich die Zuckerkrankheit auslösen können. Zudem werden sie auch Gewebe weniger stark übergewichtiger und normalgewichtiger Personen auf mikrobielle DNA hin untersuchen.
Bestätigt sich dabei ein Zusammenhang zwischen Übergewicht, Bakterien und Diabetes Typ 2, wäre dies ein wichtiger Schritt, um die Stoffwechselkrankheit besser zu verstehen – ein Leiden, das weltweit immer häufiger wird. „Fettleibigkeit gilt als ein wesentlicher Risikofaktor für Diabetes Typ 2. Doch wie Körperfett, Prädiabetes und Diabetes Typ 2 genau zusammenhängen, ist in vielerlei Hinsicht noch immer unklar“, konstatieren die Wissenschaftler. (Nature Metabolism, 2020; doi: 10.1038/s42255-020-0178-9)
Quelle: Nature Press/ Université Laval