Virologie

Wie Dampfschiffe Pocken und Co verbreiteten

Krankheitserreger im Schlepptau historischer Schiffsreisen

Bild von Segel- und Dampfschiffen in der Bucht von San Francisco im 19. Jahrhundert
Die Dampfschifffahrt führte im 19. Jahrhundert zu schnelleren Reisen und mehr Passagieren – beides günstige Faktoren für die Mitreise von Krankheitserregern. © duncan1890 / iStock

Mitfahrgelegenheit: Wo Menschen reisen, haben sie auch ihre Krankheitserreger im Schlepptau – als „blinden Passagieren“ im menschlichen Körper gelingt diesen so die Überbrückung großer Distanzen. Im 19. Jahrhundert halfen dabei vor allem die ersten großen und schnellen Dampfschiffe, die die Weltmeere überquerten, wie eine Studie zeigt. Demnach konnten sich unter anderem Pocken und Masern über die Passagiere während der Überfahrt verbreiten. Die Erkenntnisse geben auch Aufschluss, welche Seuchen künftig die Crews von Raumschiffen zu neuen Planeten begleiten könnten.

Schiffe haben in der Geschichte maßgeblich zur Globalisierung und Erschließung der Welt beigetragen. Spätestens ab dem 15. Jahrhundert, mit der Entdeckung Amerikas, verbanden Segelschiffe selbst abgelegene Orte regelmäßig mit großen Zentren in Europa. Im 19. Jahrhundert modernisierten dann Dampfschiffe die Seefahrt. Weil sie schneller und größer waren als Segelschiffe, konnten fortan noch mehr Menschen und Waren in kürzerer Zeit die Welt bereisen. Diese Neuerung führte zu einem Boom für den internationalen Seehandel und die globale Migration, förderte aber auch die Ausbreitung invasiver Arten, Kriege und Kolonialisierung.

Mit der steigenden Zahl der Schiffsfahrten nahmen allerdings auch die Reisemöglichkeiten für Krankheitserreger zu. Diese überquerten als „blinde Passagiere“ im Körper von Menschen die Ozeane und breiteten sich am Zielort weiter aus.

Krankheiten an Bord historischer Segler und Dampfer

Elizabeth Blackmore und James Lloyd-Smith von der University of California in Los Angeles haben nun untersucht, wie effektiv die Erreger von Infektionskrankheiten wie Grippe, Masern und Pocken mit der Seefahrt des 19. Jahrhunderts in die Neue Welt gelangten. Die Forschenden simulierten mit mathematischen Modellen, wie die Krankheitserreger während der wochen- oder monatelangen Überfahrten an Bord der Schiffe zu Ausbrüchen geführt haben und unter welchen Umständen ihnen am Ziel der Landgang gelang.

Basis ihrer Berechnungen waren Aufzeichnungen zu den Segel- und Dampfschiffen und ihren Passagieren, die zur Goldgräber-Ära zwischen 1850 und 1852 aus aller Welt im Hafen von San Francisco anlegten. Zudem zogen sie Aufzeichnungen zu ausgewählten historisch wichtigen Überfahrten der Weltmeere zwischen 1492 und 1918 heran – von Kolumbus bis zum Ersten Weltkrieg.

Mitfahrgelegenheiten für Erreger

Die Analysen ergaben, dass die Seuchen wahrscheinlich vor allem über schnellere Dampfschiffe in die Neue Welt gelangten, die mit vielen Passagieren beladen waren. Unter diesen Umständen standen den Krankheitserregern mehr menschliche Wirte zur Verfügung, um die Reisezeit zu überbrücken, so dass sie eine höhere Wahrscheinlichkeit hatten, die Reise zu überleben, so das Team.

Es waren demnach insbesondere die Vorgänger der „Titanic“ im Zuge der Massenmigration sowie dicht besetzte Sklaven- und Kriegsschiffe, die den Pathogenen als erfolgreiche Mitfahrgelegenheit dienten. Die frühen Seefahrer und Entdecker wie Kolumbus brachten mit ihrer eher kleinen Crew hingegen eher selten Krankheiten mit. Dennoch lösten den Überlieferungen zufolge die von den spanischen Eroberern eingeschleppten Erreger unter den indigenen Völkern Mittel- und Südamerikas vereinzelt verheerende Seuchen aus.

Keine Ankunftsgarantie

Anders als oft behauptet, erreichten die Krankheitserreger in der Vergangenheit zudem keineswegs unausweichlich mit jedem Schiff ihr Ziel. Auf kleineren und langsameren Schiffen kursierten sie mitunter zwar unter der Crew, wie die Analysen nahelegen. Die Mannschaft erholte sich jedoch häufig wieder, bevor sie am Zielort ankam und dort weitere Menschen anstecken konnte.

Am besten mit dieser Art der Reise zurecht kam demnach der Pockenerreger. Weil er bei Menschen besonders langanhaltende Infektionen auslöst, hatte er eine höhere Wahrscheinlichkeit, während der Überfahrt mehr Menschen anzustecken, ohne dass die Infektionskette abreißt. Grippeviren hatten wegen ihrer kurzen Infektions- und Ansteckungsdauer umgekehrt die geringste Chance, die Neue Welt zu erreichen, so die Forschenden.

Insgesamt war die Überfahrt für die Erreger im 19. Jahrhundert weit schwieriger als oft angenommen. „Das Aussterben und die Überlebensdynamik von Krankheitserregern auf Schiffen waren komplexe populationsbiologische Prozesse, die von der natürlichen Entwicklung des Krankheitserregers sowie von der Größe, Zusammensetzung und den Mischungsmustern der Wirtspopulation abhingen“, schreiben Blackmore und Lloyd-Smith. Es spielte demnach nicht nur eine Rolle, wie viele Menschen an Bord waren, sondern auch, ob sie aus verschiedenen sozialen Milieus stammten und auf dem Schiff in Kontakt standen.

Vom Schiff zum Raumschiff?

Die Analyse zeigt am Beispiel der historischen Segel- und Dampfschifffahrt, wie biologische, ökologische und geografische Faktoren zusammen die weltweite Verbreitung von Seuchen begünstigen können. Daraus lassen sich nach Ansicht der Forschenden Rückschlüsse ziehen, wie solche Erreger unter heutigen Umständen neue Territorien besiedeln könnten – etwa über Flugzeuge wie im Falle der modernen Grippe- und Corona-Pandemien.

Mit der bemannten Raumfahrt könnten Krankheitserreger gar von der Erde auf andere Planeten gelangen. Denn ebenso wie mit Schiffen über die Ozeane könnten Pathogene auch im Körper der Astronauten in Raumschiffen als „blinde Passagiere“ durchs All reisen. Unter anderem deshalb unterziehen sich Astronauten vor dem Abflug einer Quarantäne und werden Raumsonden nach einem speziellen Protokoll desinfiziert.

Die Berechnungen gelten allerdings nur für Infektionskrankheiten wie Grippe, Masern und Pocken, die von Mensch zu Mensch übertragen werden. Sie sind nicht auf solche Krankheiten übertragbar, die über Lebensmittel, Trinkwasser oder Insekten übertragen werden – beispielsweise Cholera, Salmonellen, Malaria oder Tuberkulose. Ob diese bessere oder auch schlechtere Chancen hatten, an Bord der Schiffe neue Ufer zu erreichen, müssen weitere Studien klären. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2024; doi: 10.1073/pnas.2400425121)

Quelle: Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS)

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