Zellbiologie

Wie das Coronavirus unsere Zellen umbaut

Infektion mit SARS-CoV-2 führt zu einer radikalen Umstrukturierung des Zellinneren

SARS-CoV-2
Das Coronavirus baut unsere Zellen nach der Infektion komplett um und nutzt fast alle Zellorganellen für seine Zwecke. © NIAID

Drastischer Umbau: Wenn das Coronavirus SARS-CoV-2 in unsere Zellen eindringt, beginnt ein radikaler Umbauprozess, wie nun eine Studie enthüllt. Demnach kapert das Virus Teile des zellinternen Membrannetzwerks, um daraus unzählige Bläschen zu bilden. In diesen repliziert es seine RNA und nutzt dann zelluläre Membranteile für seine Virushülle. Geschützt werden diese viralen Vermehrungsblasen zudem durch zweckentfremdete Teile des Zellgerüsts, wie die Forscher herausfanden.

Welche Schäden das Coronavirus SARS-CoV-2 an unseren Geweben und Organen auslöst, ist inzwischen relativ gut bekannt. Auch dass dieses Virus Zellen der Atemwege und der Lunge, des Herzens, des Darms und des Gehirns direkt angreift, haben Studien in den letzten Monaten enthüllt. Für die Zellen endet diese Infektion mit dem sicheren Tod: Sie werden zuerst in Virenfabriken umfunktioniert und dann in den zellulären Selbstmord geschickt.

Doch was passiert dabei in den befallenen Zellen? Das haben nun Mirko Cortese von der Universität Heidelberg und seine Kollegen aufgedeckt. Dafür nutzte das Team modernste bildgebende Verfahren, darunter Ionenstrahl- Elektronenmikroskopie und Elektronen-Tomografie, um die Veränderungen in Zellen von der Infektion bis zu ihrem Tod mitzuverfolgen und in 3D-Rekonstruktionen abzubilden.

Vesikel
Das Coronavirus bildet unter anderem zahlreiche membranumhüllte „Virenfabriken“ (rot) . © Julian Hennies/ EMBL

Virenfabriken aus gekaperten Membranen

Die Analysen enthüllten: Das Coronavirus baut die inneren Strukturen unserer Zellen radikal um, um sich geeignete „Replikationsgefäße“ zu schaffen. Dafür kapert das Virus Membranen des endoplasmatischen Retikulums (ER), einem System von membranumhüllten Kanälchen und Zisternen, das den Zellkern umhüllt und das Zellinnere durchzieht. Aus diesen erzeugt das Virus knapp 300 Nanometer große, von einer Doppelmembran umhüllte Blasen.

Schon sechs Stunden nach der Infektion sind diese Blasen im Zellinneren nachweisbar, wie die Forscher berichten. Im Verlauf der nächsten Stunden wachsen die Blasen heran und bilden eine ganze Ansammlung von teils miteinander und teils mit dem ER verbundenen Virusfabriken. „Der Innenraum dieser Vesikel enthält Zwischenstadien der Virusreplikation in Form doppelsträngiger RNA und auch fertig synthetisierte RNA-Stränge – das demonstriert, dass diese Blasen die Orte der viralen Erbgutsynthese sind“, schreiben Cortese und seine Kollegen.

Auch Golgi-Apparat und Mitochondrien betroffen

Doch wie die Aufnahmen enthüllten, kapert SARS-CoV-2 noch weitere Zellstrukturen. Um die Hüllen seiner Tochterviren zu produzieren, zweckentfremdet es den Golgi-Apparat, ein Zellorganell, das unter anderem Sekrete für den Zellstoffwechsel produziert und sie in membranumhüllten Bläschen freisetzt. In den virusbefallenen Zellen jedoch bildet der Golgi-Apparat stattdessen Bläschen mit viralem Inhalt.

Ebenfalls stark verändert sind die Mitochondrien, die Kraftwerke der Zelle. Sie werden von ihren Positionen verdrängt und sammeln sich am Rand der Zellzone, in der die neuen Coronaviren entstehen. Zudem sind ihre innere Struktur und ihre Form verändert, sie erscheinen dünner und von mehr Hohlräumen durchzogen. „Zusammen spricht dies von einer starken Störung der Mitochondrien-Morphologie und -funktion – wahrscheinlich spiegelt dies die von SARS-CoV-2 verursachte Beeinträchtigung des zellulären Energiehaushalts wider“, sagen die Forscher.

Schützender Käfig aus Proteinfilamenten

Das ist aber nicht alles: Sogar das Zellskelett baut das Coronavirus für seine Zwecke um, wie die Analysen ergaben. Demnach sind die Zellbereiche, in denen sich die Replikations-Blasen sammeln, von einem Gerüst aus verflochtenen Proteinfilamenten umgeben. Diese stabilen Komplexe aus dem Protein Vimentin bilden dadurch ein käfigartiges Gerüst um die Virenfabriken. Bisher waren solche Filamentkäfige zwar vom Zikavirus bekannt, für Coronaviren sind sie jedoch neu.

Zelle
Von den hier abgebildeten Zellkomponenten werden fast alle von SARS-CoV-2 gekapert und umgebaut, darunter das endoplasmatische Retikulum (5,8), der Golgi-Apparat (6), die Mitochondrien (9) und das Zellskelett (7). © Kelvinsong/ gemeinfrei

„Solche intermediären Filamente spielen eine wichtige Rolle in der angeborenen Immunabwehr und bei der antiviralen Antwort der Zellen“, erklären die Wissenschaftler. „Das legt die Vermutung nahe, dass dieser von SARS-CoV-2 induzierte Vimentin-Käfig möglicherweise den Sensoren des zellulären Verteidigungssystems den Weg zu den viralen Replikationsorten versperren soll.“

Ansatzpunkt für weitere Forschungen

Zusammengenommen enthüllen diese Beobachtungen, wie stark das Coronavirus unsere Zellen verändert. Es nutzt nicht einfach nur die Zellmaschinerie für das Kopieren seines Erbguts, sondern baut das gesamte Zellinnere zu einer Virenfabrik um. „Unsere Studie liefert einen umfassenden dreidimensionalen Einblick in den Replikationszyklus von SARS-CoV-2 und in die Veränderung der Zellorganellen, die letztlich zum Absterben der Zellen führen“, konstatieren Cortese und seine Kollegen.

Sie haben ihre Daten und alle 3D-Strukturinformationen komplett veröffentlicht, um auch anderen Forscherteams diese für antivirale Therapien wichtigen Ergebnisse zur Verfügung zu stellen. „Auf diese Weise können wir die weltweiten Bemühungen unterstützen, die Interaktion von SARS-CoV-2 mit seinem Wirt zu entschlüsseln“, sagt Koautor Yannick Schwab vom Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) in Heidelberg. (Cell Host & Microbe, 2020; doi: 10.1016/j.chom.2020.11.003)

Quelle: Europäisches Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL)

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