Fatales Andocken: Schon länger gilt das Epstein-Barr-Virus als potenziell krebserregend. Wie das Virus unsere Zellen zur Entartung bringt, haben Forschende nun aufgedeckt. Demnach docken virale Proteine an eine besonders fragile Stelle unseres Chromosoms 11 an und verursachen dort Brüche. Das wiederum begünstigt die Krebsentstehung, wie das Team in „Nature“ berichtet. Die neuen Erkenntnisse eröffnen nun die Chance, diese Entartung gezielt zu verhindern und auch, besonders gefährdete Menschen zu identifizieren.
Rund 90 Prozent von uns tragen das Epstein-Barr-Virus (EBV) in sich – meist unbemerkt und seit der frühen Kindheit. Doch in manchen Fällen kann der zu den Herpesviren gehörende Erreger krankmachen: Er verursacht das Pfeiffersche Drüsenfieber und steht im Verdacht, Multiple-Sklerose, Long Covid und das Chronische Fatigue Syndrom zu fördern. Außerdem gilt EBV als mögliche Ursache mehrerer Krebserkrankungen, darunter dem Hodgkin-Lymphom und Hals-Rachen-Krebs.
Virales Protein im Visier
Doch wie kann das Epstein-Barr-Virus einen Krebstumor verursachen? Den Mechanismus dahinter könnten nun Julia Su Zhou Li von der University of California in San Diego und ihre Kollegen entdeckt haben. Sie waren einer bekannten Eigenheit des Virus nachgegangen: EBV hinterlässt in infizierten Zellen das virale Protein EBNA1. Dieses bindet in einer Art Rückkopplung an eine bestimmte DNA-Sequenz im Genom des Virus, kann sich aber auch an die menschliche DNA anlagern.
An diesem Punkt setzt die Studie von Li und ihrem Team an: Mithilfe verschiedener menschlicher Zellkulturen untersuchten sie, wo genau das Virus-Protein im Erbgut andockt. Dabei entdeckten sie eine auffallende Häufung von angelagerten EBNA1-Proteinen in einem Abschnitt des Chromosoms 11. Nähere Analysen ergaben, dass das Erbgut dort zahlreiche Kopien einer DNA-Sequenz enthält, die der Andocksequenz im Epstein-Barr-Gencode gleichen. Dies ermöglicht es dem viralen EBNA1-Protein, an unserer DNA anzudocken.
Fragile Stelle im Chromosom
Das Interessante daran: Das Virenprotein bindet an eine sogenannte fragile Stelle des Chromosoms. Dort ist die DNA während der Zellteilung besonders anfällig für Schäden, Mutationen und Brüche. „Solche Stellen neigen dazu, zu brechen, wenn sie zusätzlichen Stressfaktoren ausgesetzt sind“, erklären Li und ihre Kollegen. Passend dazu enthüllten ihre Analysen, dass das Andocken des viralen EBNA1-Proteins den DNA-Strang an dieser Stelle abknickt.
„Wir haben daher vermutet, dass die geballte Anlagerung von EBNA1 an dieser ohnehin schon instabilen Stelle einen Bruch des Chromosoms an Position 11q23 verursachen könnte“, schreiben die Forschenden. Dies bestätigte sich bei der Zellteilung der betroffenen Zellen: „Rund 40 Prozent der mitotischen Zellen enthielten eines oder mehrere Chromosomen, die an der EBNA1-Andockstelle zerbrochen schienen.“ Dieser Bruch des elften Chromosoms blieb auch bei folgenden Teilungen der Zellen erhalten.
„Damit haben wir einen bisher nicht erkannten Zusammenhang zwischen EBV und Veränderungen am elften Chromosom entdeckt“, konstatieren Li und ihre Kollegen. Das Experiment zeige erstmals direkt, wie der Bruch einer fragilen Stelle im Genom durch ein virales Protein ausgelöst wird.
Chromosomenschäden auch in Tumordaten feststellbar
Eine solche Beschädigung der DNA gilt als einer der Faktoren, die die Entartung einer Zelle und damit Krebs auslösen können. Um zu überprüfen, ob dies auch bei dem Chromosomenbruch durch das Eppstein-Barr-Virusprotein der Fall ist, suchten die Forschenden als nächstes nach Anzeichen dieses Bruchs in DNA-Sequenzen von Krebstumoren.
Die Analyse der Genomdaten von 2.439 Tumortypen und 38 Krebsarten ergab: Die Krebstumore von Patienten mit einer latenten EBV-Infektion besaßen signifikant häufiger Anomalien am Chromosom 11. Besonders auffällig war dies bei dem schon länger als virusinduziert geltenden Hals-Rachen-Krebs: „100 Prozent der EBV-positiven Hals-Rachen-Tumore enthielten Veränderungen am Chromosom 11“, berichten Li und ihr Team.
Chance für Früherkennung und Prävention
Nach Ansicht der Forschenden könnte dies erklären, warum eine latente Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus und vor allem das Wiedererwachen dieses Virus das Risiko für bestimmte Krebsarten erhöht. „Wir gehen davon aus, dass die Reaktivierung des Virus in den befallenen Zellen zu einem Bruch des elften Chromosoms durch das virale EBNA1-Protein führt“, so das Team. Das Risiko für solche Erbgutschäden ist dabei umso höher, je mehr Kopien der viralen Andocksequenz ein Mensch an dieser Genomposition trägt. Das erklärt, warum nicht jeder EBV-Infizierte Krebs entwickelt.
„Diese Erkenntnis eröffnet die Möglichkeit, Menschen gezielt auf diesen Risikofaktor für EBV-bedingte Krankheiten hin zu untersuchen“, sagt Seniorautor Don Cleveland von der University of California. „Darüber hinaus könnte dies genutzt werden, um den Ausbruch solcher Krankheiten zu verhindern, indem man das Anlagern von EBNA1 an diese Genomsequenzen blockiert.“ (Nature, 2023; doi: 10.1038/s41586-023-05923-x)
Quelle: University of California – San Diego