Medizin

Wie die Körperhaltung unser Stressniveau verrät

Neue Methode kann gestresste Menschen automatisch erkennen

Gestresster Mann
Zu viel Stress kann zahlreiche gesundheitliche Probleme bedingen. © LaylaBird/ iStock

Eine Frage der Haltung: Wie gestresst wir in einer sozialen Situation sind, könnte sich künftig auf einen Blick erkennen lassen. Denn Wissenschaftlern ist es erstmals gelungen, charakteristische Veränderungen in unserer Körperhaltung aufzuspüren, die mit psychosozialem Stress in Verbindung stehen. Doch wie genau sieht ein gestresster Mensch aus?

Schwitzige Hände, Herzrasen, schneller Atem: Am häufigsten erleben wir solche Stress-Symptome in sozialen Situationen. Dazu gehören sowohl das kritische Vorstellungsgespräch als auch das holprige Blind Date und das Referat, das wir vor der gesamten Klasse halten müssen. Dass wir hin und wieder solchen psychosozialen Stress erleben, ist völlig normal, doch tritt er zu häufig auf, kann er auch chronisch werden. Die Folge: gesundheitliche Problemen wie Depressionen oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Stresserkennung in Echtzeit

Um Menschen vor chronischem Stress zu bewahren, bräuchte es neben Prävention auch zuverlässige Methoden, mit denen sich das Stresslevel einer Person messen lässt. Bislang geht das allerdings nur mit Blut- und Speichelproben und ist somit im Alltag wenig praktikabel. Forschende um Robert Richer von der Universität Erlangen-Nürnberg haben daher nun erstmals eine Methode entwickelt, die sozialen Stress auch nicht-invasiv und in Echtzeit erfassen kann.

Die Idee: Wenn wir uns gestresst fühlen, verändern sich möglicherweise auch unsere Körperhaltung und -dynamik – vielleicht bewegen wir uns mehr als sonst, weniger oder anders. Wüsste man, wie genau Stress sich auf die Körperhaltung auswirkt und würde man künstliche Intelligenz entsprechend trainieren, könnten diese KI-Systeme in Echtzeit jene Menschen detektieren, die gerade unter Stress stehen.

Auf der Suche nach der Stress-Körperhaltung

Um der typisch menschlichen Stress-Körperhaltung auf die Spur zu kommen, statteten Richer und seine Kollegen zunächst mehrere Probanden mit kleinen Beschleunigungssensoren an Kopf, Schultern, Brust, Armen und Beinen sowie Händen und Füßen aus. Die Testpersonen mussten nun zwei simulierte Vorstellungsgespräche und Kopfrechenaufgaben absolvieren. Bei einem Durchlauf verhielten sich die Prüfer freundlich und unterstützend, beim anderen reagierten sie überhaupt nicht auf den Prüfling und setzten ihn so unter Druck.

Indem das Team nun die Bewegungsdaten der beiden Durchläufe auswertete und miteinander verglich, konnte es typische stressbedingte Muster in der Körperhaltung der Probanden identifizieren. In einem nächsten Schritt trainierten Richer und seine Kollegen einen lernfähigen Algorithmus mit diesen Informationen und ließen ihn in Echtzeit jene Testpersonen herauspicken, die sich typisch gestresst bewegten.

Gestresste Menschen erstarren

Das Ergebnis: In rund 75 Prozent der Fälle konnten die KI-Systeme einen Menschen korrekterweise als gestresst oder entspannt einordnen, wie das Team berichtet. Stress zeigte sich demnach bei allen Probanden dadurch, dass sie sich insgesamt weniger bewegten oder über längere Zeiträume sogar komplett erstarrten. Zum Beispiel verschränkten sie die Hände vor dem Körper oder standen kerzengerade statt auch mal das Gewicht zu verlagern.

Wie sehr jemand unter Stress erstarrt, ist jedoch sehr individuell, erklärt Richer: „Eine Person, die generell aktiver ist, bewegt sich in einem solchen Fall ruhiger, hat aber im Vergleich eventuell noch immer eine größere Bewegungsdynamik als eine Person, die sich grundsätzlich weniger bewegt. Doch bei allen konnten wir irgendeine Form der Bewegungsreduktion ausmachen.“

In Zukunft könnte die neue Methode dabei helfen, Stress kontaktfrei zu untersuchen, ihn besser zu verstehen und somit auch besser zu verhindern. Und das ist dringend nötig, denn: „Wir sehen, dass gesamtgesellschaftlich die Belastung durch Stress wächst: Es zeigt sich zum Beispiel in den Kosten im Gesundheitswesen und in der Häufung von Abwesenheiten von der Arbeit“, erklärt Seniorautor Nicolas Rohleder, ebenfalls von der Universität Erlangen-Nürnberg. (Scientific Reports, 2024; doi: 10.1038/s41598-024-59043-1

Quelle: Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

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