Zusammenhang belegt: Hybride aus DNA- und RNA-Strängen können in unserem Erbgut zu folgenreichen „Knoten“ führen, wie ein Experiment aufzeigt. Demnach können diese dreisträngigen Erbgut-Gebilde krebserregende Genmutationen hervorrufen und die DNA schädigen. Bestimmte Proteine im Zellkern verhindern dies normalerweise, doch sind diese defekt, erhöht dies das Krebsrisiko. Diese Erkenntnisse könnten künftig helfen, das individuelle Krebsrisiko zu messen und neue Medikamente zu entwickeln.
Krebs wird durch verschiedene Faktoren ausgelöst, die das Erbgut unserer Zellen verändern und ihre Entartung bewirken können. Häufig sind Zellprozesse betroffen, die die DNA und ihre Begleitstrukturen regulieren, umbauen, reparieren oder in die Chromosomen verpacken und schützen. Die an dieser „Verpackung“ beteiligten Proteine werden zusammen als Chromatin bezeichnet. Durch Fehler in diesen Prozessen sind Tumorzellen genetisch instabil und entwickeln meist weitere Mutationen.
Dreisträngige Schleifen aus RNA und DNA
Schon länger im Verdacht, Krebs auszulösen, stehen sogenannte DNA-RNA-Hybride. Diese bilden sich beim Ablesen der Gene, der Transkription. Dabei wird der Doppelstrang der DNA aufgetrennt, damit eine passende RNA gebildet und so der Gencode kopiert werden kann. Dabei kann es passieren, dass sich die einzelsträngige RNA länger als nötig an einen der DNA-Stränge bindet und zusammen mit dem zweiten DNA-Strang ein sogenannter R-Loop entsteht.
Dieses dreisträngige Gebilde wirkt wie ein „Knoten“ und blockiert nicht nur die Transkription, sondern auch die DNA-Replikation während der Zellteilung. Wird der R-Loop nicht rechtzeitig aufgelöst, kann er auch zu Mutationen führen und die DNA schädigen, wie frühere Studien zeigen.
Was schützt die DNA vor den Hybriden?
Angesichts dessen, dass in Zellen ständig tausende Gene abgelesen werden und Fehler wie die R-Loops dabei häufig auftreten, stellt sich die Frage, warum diese vergleichsweise selten Folgen haben und es nicht noch viel häufiger zu krebserregenden Genmutationen kommt. Im Normalfall werden diese RNA-DNA-Hybride jedoch schnell wieder von speziellen Enzymen aufgelöst. Insgesamt sind bereits rund 50 Proteine bekannt, die eine Rolle bei der Bildung und Beseitigung der R-Loops spielen. Es werden jedoch weitere Faktoren vermutet.
Ein Team um Aleix Bayona-Feliu von der Universität Sevilla ist dem nun nachgegangen. Die Forschenden analysierten anhand von Zellkulturen menschlicher Tumorzellen, welchen Einfluss die Verpackung unserer Chromosomen, das Chromatin, sowie bestimmte Chromatin-Modifikatoren auf die Bildung der R-Loops und der dadurch erzeugten Mutationen haben. Dafür schalteten sie die Gene für verschiedene zentrale Proteine aus, die das Chromatin formen und umbauen: NO80, SMARCA5 und MTA2.
Chromatin schützt vor DNA-RNA-Hybriden
Die Experimente ergaben, dass die regulierenden Faktoren des Chromatins tatsächlich das Genom schützen, indem sie verhindern, dass sich R-Loops aus DNA-RNA-Hybriden bilden. Schalteten die Wissenschaftler in den Testzellen gezielt die Gene für diese Proteine aus, entstanden vermehrt solche DNA-RNA-Hybride. Diese R-Loops störten dann das Ablesen der Gene und verursachten im weiteren Verlauf auch Schäden an der DNA, die häufig mit Krebs assoziiert werden, berichten Bayona-Feliu und seine Kollegen.
Anschließend verglichen die Wissenschaftler ihre Daten mit bestehenden Genomdaten von vielen weiteren Tumorzellen. Die Analyse ergab, dass die Stellen im Genom, die am häufigsten mutiert sind, auch am häufigsten DNA-RNA-Hybride bilden. Darüber hinaus finden sich an diesen Stellen vermehrt Proteine wie Transkriptionsfaktoren und Chromatin-Regulatoren, darunter die untersuchten NO80, SMARCA5 und MTA2, aber auch andere epigenetische Faktoren wie das phosphorylierte Histon H3.
Die Forschenden vermuten, dass diese Proteine jeweils spezifische Aufgaben in den R-Loops übernehmen: Während einige beispielsweise gezielt DNA-Schäden in besonders langen oder stark abgelesenen Genen verhindern (SMARCA4, INO80), könnten andere die R-Loops auflösen (SMARCA5).
Neuer Marker für Krebsrisiko?
Insgesamt belegen diese Experimente erstmals, dass ein direkter Zusammenhang zwischen DNA-RNA-Hybriden und krebsassoziierten Mutationen besteht, wie Bayona-Feliu und seine Kollegen berichten. Damit sind hartnäckige R-Loops ein Risikofaktor für die Entstehung von Tumoren. Gleichzeitig könnte die Konzentration der RNA-DNA-Hybride in Zellen als Indikator für das individuelle Krebsrisiko verwendet werden, so das Team.
Die dreisträngigen RNA-DNA-Schleifen könnten auch eine Rolle für die Krebstherapie spielen. Denn es sei denkbar, dass Veränderungen der Chromatin-Modifikatoren oder epigenetischer Faktoren die Krebszellen widerstandsfähiger gegen Krebsmedikamente machen, erklären die Wissenschaftler. „Damit könnte diese Studie neue Perspektiven für die Gestaltung und Entwicklung neuer Krebstherapien eröffnen“, sagt Bayona-Feliu.
Um mögliche Krebsrisiken einzuschätzen und therapeutische Ansatzpunkte zu verstehen, müssten die DNA-RNA-Hybride und gegen sie schützende Faktoren des Chromatins jedoch zunächst weiter erforscht werden. (Nature Communications, 2023; doi: 10.1038/s41467-023-42653-0)
Quelle: Universität Sevilla