Mutierter Erreger: Die neue Coronavirus-Variante Omikron breitet sich aus, auch in Deutschland wurde sie schon mehrfach nachgewiesen. Mit 50 Mutationen, davon 30 im Spike-Protein, ist sie die bisher am stärksten mutierte Form von SARS-CoV-2. Sie vereint einige schon von anderen Varianten bekannte Mutationen mit vielen, deren Effekte noch völlig unbekannt sind. Noch ist daher nicht klar, wie gut die Impfstoffe schützen und wie viel ansteckender sie ist.
Es war zu erwarten: Wie die meisten Viren passt sich auch das Coronavirus SARS-CoV-2 immer weiter an seine Wirte an – es mutiert. Viele dieser Veränderungen in seiner RNA sind nutzlos oder sogar schädlich, immer wieder aber gibt es einige Mutationen, die dem Virus Vorteile bringen und die sich daher ausbreiten. Vor rund einem Jahr entstand so die Alphavariante, die sich von Großbritannien aus über Europa ausbreitete, wenig später folgte die noch ansteckendere Deltavariante, die inzwischen in den meisten Regionen dominiert.
Woher kommt Omikron?
Jetzt ist die nächste besorgniserregende Variante von SARS-CoV-2 aufgetaucht. Die inzwischen „Omikron“ getaufte Variante B.1.1.529 wurde erstmals am 9. November in der Gauteng-Provinz in Südafrika nachgewiesen. Innerhalb von einer Woche stieg der Anteil dieser Mutante von einem auf sieben Prozent, parallel dazu kam es zu einem starken Anstieg der Covid-19-Fälle. Bisher dominiert in Südafrika wie bei uns die Deltavariante. Allerdings ist dort die Zahl der insgesamt nachgewiesenen Covid-19-Fälle weit geringer als zurzeit bei uns in Europa.
Die rasche Zunahme der Omikron-Variante legt nahe, dass sie sich gegenüber Delta durchsetzen kann. Unter anderem deshalb hat die Weltgesundheitsorganisation WHO sie am 26. November 2021 offiziell zur „Variant of Concern“ (VOC) erklärt. Ein weiterer Grund: „Omikron ist unter allen bisher bekannten Varianten die am stärksten mutierte Form dieses Virus“, sagt Lawrence Young, Virologe der University of Warwick. „Damit ist diese Variante von SARS-CoV-2 sehr besorgniserregend.“
Neue Kombination von Mutationen
Insgesamt trägt die Omikron-Variante an 50 Stellen Veränderungen ihrer RNA – so viel wie keine andere. 30 dieser Mutationen betreffen das Spike-Protein, davon wiederum liegen rund 15 in der Rezeptor-Bindungsdomäne, dem Proteinabschnitt, mit dem das Coronavirus an den ACE2-Rezeptor unserer Zellen andockt. Diese Domäne spielt eine entscheidende Rolle dafür, wie gut das Virus Zellen infizieren kann.
Einige dieser Mutationen sind schon von anderen Virusvarianten bekannt. Dazu gehören sechs Mutationen, die schon die Alphavariante besitzt und drei, die die Deltavariante entwickelt hat. „Omikron trägt einige Veränderungen, die wir zuvor schon bei anderen Varianten gesehen haben, aber noch nie alle zusammen in einem Virus“, sagt Young.
Unter diesen Veränderungen sind drei Mutationen an der sogenannten Furin-Spalte des Spike-Proteins. Von einer dieser Mutationen, einem Aminosäuretausch an Position 681 des Proteins – ist schon bekannt, dass sie die Übertragbarkeit erhöhen kann. Eine Kombination zweier weiterer Mutationen, Q498R und N501Y, stärkt die Bindung des Virus an die Zellen und erhöht dadurch ebenfalls die Infektiosität.
Indizien für höhere Infektiosität
Zusammengenommen trägt Omikron damit einige Mutationen, die bekanntermaßen die Übertragbarkeit und Viruslast erhöhen. Dies passt zu der aus den epidemiologischen Daten abgeleiteten Annahme, dass diese neue Variante noch ansteckender sein könnte als Delta. Aus Hongkong gab es zudem erste Berichte, nach denen die Viruslast von zwei mit der Omikron-Variante infizierten Personen deutlich höher war als bisher normal.
Ob die Übertragbarkeit der Varianten tatsächlich deutlich höher ist und um wie viel höher der R-Wert der Omikron-Varianten liegt, muss aber erst noch durch Labortests abgeklärt werden. Denn auch wenn diese Coronavirus-Form viele der bekanntermaßen infektiöseren Veränderungen trägt, können unter den noch nicht zuvor gesehenen Mutationen seines Genoms einige sein, die diese Wirkung wieder abschwächen. „Die Bedeutung vieler dieser neuen Mutationen und ihrer Kombinationen ist noch unbekannt“, betont Sharon Peacock vom britischen Genom-Konsortium und der University of Cambridge.
Potenzielle Fluchtmutationen
Bisher gibt es keine eindeutigen Daten dazu, ob und wie stark die Omikron-Variante sich dem durch Impfung oder frühere Infektionen gewappneten Immunsystem entziehen kann. Sowohl Moderna als auch BioNTech sind schon dabei, die Effektivität ihrer Impfstoffe gegen diese Variante in Zellkulturtests zu überprüfen. „Die Kombination der Mutationen repräsentiert ein signifikantes Risiko dafür, dass diese Variante das Nachlassen der natürlichen und durch Impfung indizierten Immunität beschleunigen kann“, heißt es bei Moderna.
Anlass zu dieser Annahme geben mehrere Mutationen, die schon länger als potenzielle Fluchtmutationen gelten. Sie verändern wichtige Erkennungsmerkmale am Spike-Protein so stark, dass einige gegen SARS-CoV-2 gebildete Antikörper das Virus nicht mehr erkennen. Konkret gehört dazu eine Mutation an Position E484, die in ähnlicher Form schon bei der in Brasilien verbreiteten Gammavariante und der zuvor in Südafrika zirkulierenden Betavariante vorkam. Außerdem fehlen der Omikron-Variante drei Aminosäuren im ORF-1a-Abschnitt der RNA. Sie erschweren es dem Immunsystem ebenfalls, das Virus anzugreifen.
Wie gut schützen die Impfungen noch?
Was aber bedeutet dies für den Impfschutz? Nach Ansicht der meisten Experten besteht noch kein Anlass zur Panik. „Es ist sehr wahrscheinlich, dass die aktuellen Vakzinen auch bei Omikron gegen schwere Verläufe von Covid-19 schützen werden“, sagt Young. Ähnlich sieht es der Virologe Peter Openshaw vom Imperial College London: „Es ist extrem unwahrscheinlich, dass diese Variante sich der Impfwirkung komplett entziehen kann.“
Einer der Gründe: Weil die Impfstoffe das gesamte Spike-Protein als Grundlage für die Immunantwort nutzen, produziert der Körper Antikörper, die an verschiedenen Stellen des viralen Proteins ansetzen. Selbst wenn einige Ansatzstellen nun mutiert sind, bleiben daher noch immer Antikörper, die an nicht veränderten Stellen des Spike-Proteins ansetzen. Das gilt vor allem dann, wenn der Impfschutz noch frisch ist und daher viele Antikörper im Körper zirkulieren.
Ähnliches gilt für die zweite Säule des Immunschutzes, die Zellen: „Gerade die T-Zell-Antwort sollte gegenüber den Veränderungen robust sein. Allerdings ist es durchaus vorstellbar, dass es vermehrt zu Durchbruchsinfektionen kommt, sodass eine dritte Dosis umso wichtiger wird“, sagt Roman Wölfel vom Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr in München. Auch andere Virologen betonen, dass jetzt ein frischer Impfschutz und damit die Auffrischungsimpfung umso wichtiger ist.
Quelle: Covariants, GISAID, WHO, Science Media Centre