Vom Doughnut zum Igel: Das Schmerzmittel Ibuprofen kann zu einer Deformation Roter Blutkörperchen führen – die napfförmigen Erythrozyten verwandeln sich in stachelige „Stechapfelzellen“. Wie dies abläuft und ab welcher Dosis, haben Forschende nun erstmals live verfolgt. Dies enthüllte, dass Ibuprofen die Ordnung der Membranlipide stört und die Doppelschicht der Zellmembran auseinander zieht. Dadurch bilden sich die spitzen Ausläufer. Auch ab welcher Dosis dies geschieht, konnte das Team aufklären.
In unseren Adern zirkulieren rund 25 Billionen Roter Blutkörperchen – napfförmige, wenige Mikrometer kleine Zellen. Diese Erythrozyten machen den größten Anteil unserer Blutzellen aus und sind für uns unverzichtbar. Denn in ihnen steckt das Hämoglobin, mit dem unser Blut Sauerstoff und Kohlendioxid binden und transportieren kann. Damit ihre Fracht überall hinkommt, quetschen sich die Blutkörperchen selbst durch engste Kapillaren – dies gelingt, weil sie sich flexibel verformen können.
Wenn Blutkörperchen zu Stechapfelzellen werden
Doch es gibt Formänderungen der Roten Blutkörperchen, die ihrer Funktion schaden oder die krankhafte Veränderungen anzeigen. Dazu gehören die sogenannten Stechapfelzellen oder Echinozyten. Dabei verlieren die Blutkörperchen ihre typisch flache Form und ziehen sich zur Kugel zusammen. Außerdem bilden sie spitze Ausläufer aus., die sie einem Igel oder einer Kastanienschale ähneln lassen. Diese Deformation erschwert ihnen die Passage durch Engstellen und stört auch den Gasaustausch.
Solche Stechapfelzellen entstehen beispielsweise, wenn Blutkonserven falsch gelagert werden oder wenn das Blut in Kontakt mit bestimmten Arzneimitteln kommt. Auch Verbrennungen, Leberschäden und Lebererkrankungen können zu dieser Deformierung der Roten Blutkörperchen führen. Doch wie genau diese Umwandlung abläuft, war bisher unklar.
Neue Mikroskopiemethode erlaubt Beobachtung in Echtzeit
Jetzt haben Forschende diese Deformation der Roten Blutkörperchen erstmals in Echtzeit mitverfolgt. Um den Prozess sichtbar zu machen, nutzte das Team um Talia Bergaglio von der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa die sogenannte digitale holotomographische Mikroskopie (DHTM). Dabei wird eine Zellprobe ähnlich wie bei der Computertomografie aus verschiedenen Richtungen durchleuchtet und daraus ein dreidimensionales Bild rekonstruiert. Statt Röntgenstrahlen kommen jedoch energiearme Laserstrahlen zum Einsatz.
Der Vorteil: Diese Bildgebungsmethode ist besonders schonend und lässt selbst empfindliche Zellstrukturen intakt. Andes als bei der Fluoreszenzmikroskopie, die ebenfalls oft für biologische Proben eingesetzt wird, benötigt man zudem keine Fluoreszenzfarbstoffe oder eine andere zusätzliche Marker, wie das Team erklärt. Für ihre Studie setzten sie eine Proben Roter Blutkörperchen dem Schmerzmittel Ibuprofen aus und beobachteten dann mittels DHTM, was passiert.
Ordnung der Membran gestört
Die Aufnahmen enthüllten: Schon wenige Minuten nach Kontakt mit dem Ibuprofen zeigten sich erste „Stachel“ auf der Membran der Blutzellen. „Diese Stachelbildung war bei niedrigeren Ibuprofen-Dosen noch reversibel“, berichten Bergaglio und seine Kollegen. Doch bei Dosierungen von mehr als einem Millimol ließ sich die Umwandlung der roten Blutkörperchen in Stechapfelzellen nicht mehr rückgängig machen. „Dies entspricht einer Einnahme von mehr als 800 Milligramm Ibuprofen auf einmal, was man ohne ärztliche Verschreibung ohnehin niemals tun sollte“, betonen die Forschenden.
Im Zuge der Umwandlung wurden die roten Blutkörperchen zudem anfangs flacher und zogen sich in der Mitte zusammen, bevor sie sich dann zur typischen Kugelform der Echinozyten aufblähten. Nähere Analysen enthüllten, dass das Ibuprofen die Anordnung der Membranlipide stört und die beiden Schichten der Doppellipidmembran auseinanderzieht. Dies führt zur Ausbildung der spitzen Ausläufer.
Überdosierung von Ibuprofen vermeiden
„Unsere qualitativen und quantitativen Daten bestätigen damit, dass die Membran der roten Blutkörperchen spezifische Veränderungen durchläuft, wenn sie mit Ibuprofen-Molekülen in Kontakt kommt“, schreiben die Forschenden. Dies illustriert, dass eine Überdosierung dieses Schmerzmittels auch dem Blut schaden kann – es führt im Extremfall zu einer nicht umkehrbaren „Verstachelung“ von roten Blutkörperchen.
„Die Tatsache, dass Ibuprofen als frei verkäufliches Schmerzmittel erhältlich ist, erhöht das Risiko für eine Überdosierung“, erklärt das Team. Entsprechend relevant seien die aktuellen Beobachtungen auch in Bezug auf die Arzneimittelsicherheit und mögliche Folgen. (ACS Nanoscience, 2024; doi: 10.1021/acsnanoscienceau.3c00004)
Quelle: Empa