Zukunftsvision im Praxistest: Bisher ist es verboten, Embryos gezielt auf „gute Gene“ zu testen – das soll das Züchten von „Designerbabys“ verhindern. Doch was würde eine solche genetische Selektion überhaupt bringen? Genau das haben nun Forscher getestet. Das Ergebnis: Gerade einmal 2,5 IQ-Punkte und 2,5 Zentimeter Größe ließen sich so im Schnitt gewinnen – und selbst das wäre nicht sicher. Der optimierte Mensch ist demnach wohl noch einiges entfernt.
Dank genomweiter Assoziationsstudien (GWAS) können Forscher heute die genetische Basis auch für komplexe, von vielen Genen gesteuerte Eigenschaften immer besser identifizieren. Dazu gehören viele Krankheitsneigungen, aber auch positive Merkmale wie die Intelligenz. Das wiederum weckt die Sorge, dass das Wissen um diese Veranlagungen künftig auch zur Erschaffung von genetisch optimierten Menschen genutzt werden könnte – für „Designerbabys„.
Selektion schon beim frühen Embryo?
Denkbar wäre zum Beispiel, dass Embryos bei der künstlichen Befruchtung (IVF) gezielt nach „guten Genen“ selektiert werden – die Präimplantations-Diagnostik (PID) macht dies theoretisch möglich. Weil dies jedoch erhebliche ethische Fragen aufwirft, ist die PID bei uns in Deutschland und einigen anderen Ländern stark reglementiert und darf nur in Ausnahmefällen, beispielsweise bei schweren Erbkrankheiten, durchgeführt werden.
Noch umstrittener sind gezielte Eingriffe in das Erbgut von Embryos, wie im Jahr 2016 in China geschehen. Forscher hatten zwei menschlichen Embryonen mithilfe der Genschere CRISPR/Cas9 ein schützendes Gen gegen HIV eingesetzt. Die gleiche Methode könnte theoretisch auch verwendet werden, um Kinder schon vor dem Einpflanzen in den Mutterleib genetisch zu optimieren. Noch ist dies allerdings verboten und auch methodisch reine Zukunftsmusik.
Test an fiktiven IVF-Embryonen
Eine Frage aber bleibt bei alldem offen: Wäre es überhaupt möglich, auch komplexe, polygene Merkmale, wie beispielsweise die Intelligenz, durch solche Methoden zu optimieren? Genau das haben nun Forscher um Shai Carmi von der Hebräischen Universität Jerusalem untersucht – am fiktiven Beispiel einer Selektion von Embryonen nach Intelligenz und Körpergröße. Beides sind polygene Merkmale, für die man etwa weiß, welche Genkombinationen das Merkmal wie stark verändern.
Konkret wollten die Forscher wissen, welchen konkreten Effekt es hätte, wenn ein Paar aus ihren fünf oder zehn mittels IVF erzeugten Embryonen nur das Kind austragen würde, das die besten Intelligenzgene oder Gene für die Körpergröße hätte. Dafür kombinierten sie das Erbgut von 102 israelischen Paaren und knapp 1000 griechischen Männern zu fiktiven Paaren und erzeugten pro Paar zehn hypothetische Embryonen – mit ähnlich zufälligen Genkombinationen wie sie auch bei der Befruchtung entstehen.
Dann wählten die Forscher den Embryo mit der besten Genkombination für Intelligenz oder Körpergröße aus und errechneten, wie stark sich dieses Kind vom Durchschnitt seiner Geschwister abheben würde.
Nur drei IQ-Punkte – maximal
Das Ergebnis war eher bescheiden: „Unter aktueller Technologie und mit fünf lebensfähigen Embryonen pro Paar läge der durchschnittliche Vorteil bei 2,5 IQ-Punkten und 2,5 Zentimetern Körpergröße“, berichten die Wissenschaftler. Bei zehn lebensfähigen Embryonen – eine für heutige IVF-Verfahren unrealistisch hohe Zahl, läge der Vorsprung eines solchen „Designerbabys“ bei drei IQ-Punkten und drei Zentimetern.
Wie die Forscher ermittelten, würde sich dieser Effekt nicht einmal dann nennenswert steigern lassen, wenn ein Paar – beispielsweise durch Klonen – tausend verschiedene Embryos erzeugen und testen würde. „Unsere Simulationen zeigen, dass der Nutzen in Bezug auf das gewünschte Merkmal relativ gering wäre“, konstatieren Carmi und sein Team.
Gene sind nicht alles
Und noch etwas kommt hinzu: „Vieles an diesen Merkmalen ist unvorhersagbar“, betont Carmi. „Selbst wenn jemand einen Embryo auswählen würde, dessen IQ zwei Punkte höher sein müsste als im Durchschnitt, gibt es keine Garantie, dass sich dies auch tatsächlich zeigt.“ Denn neben den Genen spielen für die Intelligenz und die meisten anderen Merkmale andere Einflussfaktoren eine fast ebenso wichtige Rolle.
Wie sich dies konkret auswirkt, haben Carmi und seine Kollegen in einer ergänzenden Studie mit 28 Großfamilien mit im Schnitt zehn erwachsenen Kindern überprüft. Mittels DNA-Analysen ermittelten sie zunächst deren polygenen Punktewerte für die Körpergröße und errechneten daraus, wie groß die Teilnehmer theoretisch sein müssten. Dies verglichen sie mit deren tatsächlicher Körpergröße.
Das Ergebnis hier: Nur in sieben der 28 Familien waren die Kinder mit dem besten polygenen Score auch die größten unter den Geschwistern und in fünf der Familien waren diese Kinder sogar kleiner als der Durchschnitt.
Bringt wenig und ist ethisch fragwürdig
Nach Ansicht der Forscher belegt dies eindeutig, dass eine Selektion von Embryos nach Intelligenz-Genen oder anderen vorteilhaften polygenen Merkmalen nicht nur ethisch fragwürdig wäre – es würde auch wenig bringen.
Ähnlich sieht es auch der Humangenetiker Markus Nöthen von der Universität Bonn. In einem Kommentar schreibt er: „Die Studie zeigt sehr überzeugend, dass das Szenario von „Designerbabys“, bei denen durch Embryoselektion große Effekte auf Merkmale wie Körpergröße oder Intelligenz erzielt werden könnten, beim heutigen Wissensstand unrealistisch ist, aber auch in absehbarer Zukunft ein wenig wahrscheinliches Szenario bleibt.“
Letzteres sieht Peter Dabrock, Vorsitzender des Deutschen Ethikrats, allerdings kritischer: „Obwohl der Beitrag zeigt, dass das Designerbaby gegenwärtig weit entfernt scheint, macht er doch deutlich: Klarer als zuvor erscheint deren Möglichkeit am Horizont. Aber lohnt es sich, diese Vision, vor allem zur vermeintlichen Verbesserung einzelner Fähigkeiten, mit großem Forschungs- und Finanzinvestment weiterzuverfolgen?“ (Cell, 2019; doi: 10.1016/j.cell.2019.10.033)
Quelle: Cell Press