Physikalischer Effekt: Entgegen gängiger Annahme können Mikroplastik-Partikel offenbar doch die Membran von Zellen schädigen – durch mechanische Einwirkung. Ein Experiment enthüllt, dass die Anlagerung von ein bis zehn Mikrometer kleinen Partikeln die Zellmembran dehnt und sie unter Spannung setzt. Das kann zu Membranschäden und Entzündungsreaktionen führen. Mikroplastik könnte damit schädlicher sein als bislang angenommen.
Mikroplastik vermüllt nicht nur Ozeane, Böden und Gewässer – auch unser Körper enthält inzwischen unzählige dieser winzigen Plastikteilchen. Wir nehmen sie mit dem Trinkwasser, mit der Nahrung oder der Luft auf. Ein Teil wird mit dem Kot wieder ausgeschieden, der Rest reichert sich in unseren Geweben und Organen an. Welche gesundheitlichen Folgen dies hat, ist bislang unbekannt. Erste Studien zeigen, dass durch Umwelteinflüsse gealtertes Mikroplastik von Fresszellen des Immunsystems aufgenommen wird.
Wie anfällig ist die Zellmembran?
Jetzt gibt es Hinweise auf einen weiteren negativen Einfluss des Mikroplastiks auf die Zellgesundheit. Für ihre Studie hatten Jean-Baptiste Fleury von der Universität des Saarlands und Vladimir Baulin von der Universität Tarragona die mechanische Interaktion von Mikropartikeln mit Zellen näher untersucht. „Aktuell wird über eine mögliche toxische Wirkung von Mikroplastik auf menschliche Zellen diskutiert“, so Fleury. „Die Möglichkeit einer Entzündung einer Zellmembran durch einen rein physikalischen Effekt wird jedoch von den meisten Studien ignoriert.“
Der Grund dafür: Die Phospholipid-Membran unserer Zellen ist hochflexibel und verhält sich in vieler Hinsicht eher wie eine Flüssigkeit als wie ein Gewebe. Die parallel nebeneinander stehenden Lipidmoleküle bilden eine Art zweidimensionaler Lösung und können sich seitlich bewegen. Gängiger Ansicht nach dürfte daher ein mechanischer Einfluss – beispielsweise durch Anlagerung von Partikeln – keine bleibenden Folgen hinterlassen. Die Membranmoleküle fließen hinterher einfach wieder in ihre ursprüngliche Position zurück.
Unter Spannung
Doch wie nun Labortests mit einer Doppelmembran enthüllen, stimmt dies nur bedingt. In den Versuchen gaben die Forscher Mikroplastik-Kügelchen von einem bis zehn Mikrometer Durchmesser in eine Lösung mit einer synthetischen Zellmembran. Es zeigte sich, dass die Partikel die Zellmembran leicht eindellten. Dies führte zu einer Zunahme der Membranspannung, die über diesen lokalen Effekt hinausgeht, wie Messungen ergaben.
Bei 25 bis 200 Mikrogramm Mikroplastik pro Milliliter verdoppelte sich die Spannung der Doppelmembran in kurzer Zeit von vier auf acht Millinewton pro Meter. ‚“Diese Werte liegen nahe an der Grenze, ab der die Membran sich auflöst“, berichten die Wissenschaftler. Und noch etwas zeigte sich: „Selbst nach ein bis zwei Stunden beobachteten wir, dass sich die einzelnen Plastikkügelchen durch die Diffusion weiter auf der Membran hin- und herbewegten“, so Fleury und Baulin.
Blutkörperchen zerreißen früher
Um herauszufinden, welche Folgen diese mechanischen Effekte auf die Stabilität von Zellen hat, führten die Forscher ergänzende Versuche mit Roten Blutkörperchen durch. Dabei saugten sie diese vorsichtig mit einer Pipette ein, deren innerer Durchmesser unter der der Blutzellen lag. Die Blutkörperchen wurden dadurch stark gedehnt und teilweise eingesaugt, bis ihre Membran nachgab und sie platzten. Diesen Versuch wiederholten sie mit und ohne die Präsenz von 0,5 Mikrometer kleinen Plastikpartikeln.
Das Ergebnis: Die Präsenz von Mikroplastik verringert die Zeit bis zum Aufreißen der Zellmembran signifikant, wie das Team ermittelte. Dies bestätigt, dass die Anlagerung von Plastikpartikeln die Stabilität der Zellmembranen herabsetzt. Dieser rein mechanische Effekt könnte demnach dazu führen, dass Mikroplastik tierische und menschliche Zellen schädigt. „Das gibt uns einen besseren Einblick darin, wie sich Mikropartikel auf lebende Systeme auswirken“, so Fleury und Baulin.
Nach Ansicht der Forscher könnte dieser mechanische Effekt möglicherweise auch erklären, wie die winzigen Kunststoffpartikel Entzündungen auslösen können. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2021; doi: 10.1073/pnas.2104610118)
Quelle: Universität des Saarlandes