Zellbiologie

Wie unsere Zellen sich selbst töten

Entscheidender Mechanismus des programmierten Zelltodes gefunden

Apoptose
Ninjurin-1-Proteine (grün/gelb) in Aktion: Beim programmierten Zelltod lagern sie sich zusammen und reißen Löcher in die Zellmembran (grau), woraufhin die Zelle komplett zerfällt. In Blau sind Bestandteile des Zellinneren zu sehen. © Biozentrum, Universität Basel

Reißverschluss statt Ballon: Viele unserer Zellen töten sich selbst, um zum Beispiel die Ausbreitung einer Infektion zu verhindern. Anders als lange Zeit angenommen platzen sie allerdings nicht einfach wie ein Ballon. Stattdessen fügen sich spezielle Membranproteine zu einer Kette zusammen, entlang derer sich die Zellmembran dann wie ein Reißverschluss öffnet und schließlich zum Tod der Zelle führt. Diese neuen Erkenntnisse könnten zukünftig die Therapie von Krebs oder Parkinson optimieren, so die Wissenschaftler.

In unserem Körper sterben jeden Tag Millionen von Zellen, indem sie sich selbst töten. Eine Zelle begeht dann Selbstmord, wenn sie beschädigt oder mit Viren und Bakterien infiziert ist. Der programmierte Zelltod, auch Apoptose genannt, soll dann verhindern, dass die Zelle entartet und Tumore entstehen oder dass sich Erreger in ihr weiter vermehren und im Körper ausbreiten.

Lange Zeit ging die Wissenschaft davon aus, dass sich am Ende dieses Sterbeprozesses Löcher in der Zellmembran bilden, durch die Flüssigkeit ins Zellinnere strömt. Dadurch würde die Zelle dann langsam aufquellen und aufgrund des Überdrucks schließlich wie ein Ballon platzen – so die Annahme. Doch ein US-Forschungsteam hat diese These kürzlich widerlegt. Wie sieht das Selbstmordprogramm einer Zelle also stattdessen aus?

Atomgenauer Einblick in den Zelltod

Forschende um Morris Degen von der Universität Basel haben nun untersucht, was wirklich mit einer Zelle passiert, die sich selbst umbringt. Dafür kombinierten sie hochauflösende bildgebende Verfahren wie die Super-Resolution-Mikroskopie mit biochemischen Ansätzen und Kernspinresonanzspektroskopie. Durch diesen Methodenmix konnten sie die Apoptose schließlich auf atomarer Ebene beobachten und somit die genauen Mechanismen aufklären, die ihr zugrunde liegen.

Dabei fiel dem Team auf, dass sich während der Apoptose ein sonst unscheinbares Membranprotein auf einmal auf der Zellmembran anhäufte. Degen und seine Kollegen untersuchten dieses Protein namens Ninjurin-1 daraufhin genauer und ermittelten, welche Rolle es im Selbstmordprogramm einer Zelle spielt.

Protein-Reißverschlüsse ermöglichen Zellen-Selbstmord

Ihre Erkenntnisse: Ninjurin-1 durchzieht normalerweise als kleines Protein die schützende Membranhülle einer Zelle. Ein Großteil des Proteins befindet sich in der Membran selbst, doch zwei spiralförmige Auswüchse, die Alpha-Helices, ragen aus der Zelle heraus. Leitet die Zelle ihr Selbstmordprogramm ein, weil sie etwa von Viren oder Bakterien befallen wurde, dringen die Helix-Strukturen jedoch ebenfalls in die Membran ein, wie Degen und seine Kollegen herausgefunden haben.

Apoptose Schaubild

Die Rolle von Ninjurin-1 im Schaubild: Indem die Spiralstrukturen α1 und α2 in die Membran eindringen, können sich mehrere Ninjurin-1-Proteine zusammenlagern und die Membran zerreißen. (Zum Vergrößern anklicken) © 2023 Degen et al./ Nature /CC-by 4.0

Das führt dazu, dass sich das einzelne Ninjurin-1-Protein mit anderen zusammenschließt und dabei einen Keil in die Membran treibt. „Große Risse und Löcher entstehen, indem sich viele weitere Proteine an den Ninjurin-1-Keil hängen. Die Zellmembran reißt so Stück für Stück auf, bis die Zelle komplett zerfällt“, erklärt Degen. Die Ninjurin-1-Proteine bilden demnach eine Kette, die die Zelle an speziellen Sollbruchstellen aufplatzen lässt. Dieser Vorgang gleicht demnach eher einem Reißverschluss als einem platzenden Ballon.

Doch wie weitere Analysen ergaben, erleichtert Ninjurin-1 den Zelltod nicht einfach nur, sondern ermöglicht ihn erst. „Wir wissen jetzt, dass die Zellen ohne Ninjurin-1 nicht platzen. Sie blähen sich durch den Flüssigkeitseinstrom zwar bis zu einem gewissen Maß auf, doch damit die Membran aufreißt, muss erst dieses Protein in Aktion treten“, erklärt Degens Kollege Sebastian Hiller vom Biozentrum der Universität Basel. Was genau Ninjurin-1 allerdings vom inaktiven in den aktiven Zustand versetzt, ist noch unklar.

Anwendungen für die Medizin möglich

Die neuen Erkenntnisse zum Zelltod könnten dabei helfen, bessere Medikamente gegen verschiedene Krankheiten zu entwickeln. Degens Team kann sich zum Beispiel einen Einsatz in der Krebstherapie vorstellen. Denn einige Tumorzellen haben die Fähigkeit entwickelt, ihr Selbstmordprogramm gezielt auszuschalten, um sich vor unserem Immunsystem zu schützen. Mit neuen Methoden könnte sich dieser Ausschalter blockieren lassen.

Auch ein zu früher Zelltod, wie er bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Parkinson auftritt, oder ein lebensbedrohlicher septischer Schock bei Infektionen ließe sich mit Wirkstoffen, die in das Geschehen eingreifen, möglicherweise verhindern, so die Wissenschaftler. (Nature, 2023; doi: 10.1038/s41586-023-05991-z)

Quelle: Universität Basel

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