Neurobiologie

Wie viele Zehen fühlen Sie?

Unser Gehirn verarbeitet Signale von den Zehen nur ungenau

Berührungen an den Zehen können bei geschlossenen Augen zu verwirrenden Sinneseindrücken führen. © iStock.com / Robert Przybysz

Verwirrendes Fußgefühl: Unser Gespür für die eigenen Zehen an den Füßen ist überraschend fehleranfällig. Das kann so weit gehen, dass wir einen Zeh gefühlt „verlieren“, wie Wissenschaftler in einem einfachen Experiment herausgefunden haben. Besonders die mittleren Zehen verwechseln wir schnell, wenn wir eine Berührung dort spüren, aber nicht sehen. Das unerwartete Phänomen könnte dabei helfen, auch andere Fehlinterpretationen unserer Nerven zu erklären.

Mit geschlossenen Augen die eigene Nase berühren ist kein Problem: Wir haben normalerweise eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wo und in welcher Position zueinander sich unsere Körperteile befinden. Sofern kein Alkohol im Spiel oder ein Arm eingeschlafen ist, können wir die Nase sogar ohne Probleme mit einem bestimmten Finger berühren, und wir erkennen, welcher genaue Finger von jemand anders berührt wird.

Problemzone mittlere Zehen

Doch überraschenderweise erstreckt sich dieses feine Gespür offenbar nicht auf die Zehen: Nela Cicmil und ihre Kollegen tippten bei ihren Versuchspersonen jeweils einzelne Finger oder Zehen an, während diese ihre Augen geschlossen hatten. Die Probanden sollten dann angeben, an welcher Stelle sie berührt wurden.

Das Ergebnis: Besonders bei den „mittleren“ Zehen fiel dies vielen Versuchsteilnehmern überraschend schwer. „Das größte Problem war, zwischen dem zweiten und dritten Zeh zu unterscheiden – denjenigen neben dem großen Zeh“, beschreibt Cicmil. Im Durchschnitt schafften dies nur etwas weniger als zwei Drittel der Probanden. Bei großem und kleinem Zeh waren immerhin 94 Prozent erfolgreich. Bei den Fingern lag die Trefferquote dagegen bei 99 Prozent, egal welcher Finger berührt wurde.

Verlorener Zeh durch Agnosie

Die einzelnen Probanden identifizierten ihre Zehen zwar unterschiedlich gut. Bei der sogenannten Agnosie, der Fehlinterpretation von Nervensignalen, gab es aber ein deutliches Muster: Die Versuchspersonen hielten den zweiten Zeh für den dritten, und den dritten für den vierten. Besonders ausgeprägt war dieser Effekt beim jeweils „schwächeren“ Fuß, also etwa dem linken Fuß eines Rechtshänders.

Diese Agnosie an den Zehen führte zu einem weiteren unerwarteten Phänomen: Etwa die Hälfte der Teilnehmer hatte während des Versuchs das Gefühl, dass ihnen ein Zeh fehlt. „Wir kennen zwar einige Erkrankungen, bei denen Menschen das Gefühl für Finger oder Zehen verlieren“, sagt Cicmil. „Aber die Testpersonen hier waren gesund, dennoch beschrieben einige das Gefühl eines fehlenden Zehs.“

Vorsicht bei Nerven-Tests

Die Wissenschaftler nehmen an, dass die sensorischen Areale unserer Großhirnrinde Signale von den Zehen ungenau verarbeiten. Demnach erkennt das Gehirn nicht jeden Zeh einzeln, sondern lediglich fünf grobe Bereiche. Die Grenzen dieser Bereiche stimmen aber nicht völlig mit den Lücken zwischen den Zehen überein.

Für Ärzte ist dies eine wichtige Information: Falls sie Patienten auf Hirn- oder Nervenschäden untersuchen, müssen sie bei den Zehen mit Fehlern rechnen, die aber völlig normal sind. Außerdem könnten die Studienergebnisse allgemein dabei helfen Fehlwahrnehmungen des eigenen Körpers, wie sie auch bei Magersucht auftreten können, besser zu verstehen. (Perception, 2015; in press)

(University of Oxford, 24.09.2015 – AKR)

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