Obwohl Millionen Menschen weltweit an der Darmerkrankung Morbus Crohn leiden, sind ihre Ursachen bisher erst in Teilen aufgeklärt. Jetzt liefert eine Genomstudie neue Ansatzpunkte. In ihr haben Forschende zehn neue Risikogene für Morbus Crohn identifiziert, die auf bisher nicht bekannte Entstehungsmechanismen hindeuten. Das Wissen um diese Prozesse und die beteiligten Zellen könnte helfen, Therapien gegen die bisher nicht heilbare Darmerkrankung zu finden.
Morbus Crohn ist durch schubweise auftretende, chronische Entzündungen des Magen-Darm-Trakts gekennzeichnet. Die Betroffenen leiden immer wieder unter schwerem Durchfall, Bauchschmerzen und teilweise auch Erbrechen. Medikamente können die Symptome zwar lindern, eine Heilung gibt es aber bisher nicht – auch, weil die Ursachen dieser Darmerkrankung erst in Teilen geklärt sind. Klar scheint, dass es eine genetisch bedingte Anfälligkeit gibt und dass bei den Betroffenen die Darmbarriere und die Schleimhäute des Verdauungstrakts krankhaft verändert sind.
Zwar haben frühere genomweite Assoziationsstudien (GWAS) schon viele Erbgutregionen identifiziert, die bei Crohn-Patienten verändert sind. Die Funktionen dieser Genvarianten sind aber nur in wenigen Fällen bekannt.
Zehn Risikogene, davon sechs völlig neu
Deshalb haben nun Aleksejs Sazonovs vom Wellcome Sanger Institute in England und seine Kollegen mit einem etwas anderen Verfahren nach Risikogenen für Morbus Crohn gesucht, der sogenannten Exom-Sequenzierung. Dabei werden gezielt nur die proteinkodierenden Gene von Crohn-Patienten mit gesunden Vergleichspersonen verglichen. Für die Studie analysierte das internationale Forschungsteam Proben von 30.000 Betroffenen aus 35 medizinischen Zentren weltweit und 80.000 Kontrollpersonen.
Das Ergebnis: „Wir haben genetische Varianten in zehn Genen identifiziert, die die Anfälligkeit für Morbus Crohn erhöhen“, berichtet Koautor Andre Franke von der Universität Kiel. „Dabei wurden Veränderungen von sechs Genen in Regionen identifiziert, die bisher nicht mit Morbus Crohn in Verbindung gebracht worden waren.“ Die vier restlichen Gene liegen in Regionen, für die auch schon die GWAS-Studien einen Zusammenhang mit einem erhöhten Risiko für Morbus Crohn ergeben hatten.
Mesenchymale Zellen im Visier
Das Interessante sind jedoch die Funktionen der neu identifizierten Risikogene. Denn sie liefern Hinweise auf einen bisher nicht bekannten Entstehungsmechanismus. „Viele der neu identifizierten Gene scheinen mit der Rolle der mesenchymalen Zellen für das physiologische Gleichgewicht des Verdauungstrakts verbunden zu sein“, erklären die Wissenschaftler.
Diese im weiteren Sinne zum Bindegewebe gehörenden Zellen und Vorläuferzellen spielen einerseits eine wichtige Rolle bei der Reifung, Migration und Rekrutierung von Immunzellen. Andererseits interagieren die Mesenchymzellen im Darm eng mit Immunzellen und den Zellen der Darmwand und wirken so als eine Art zweite Darmbarriere. Sie tragen zudem zur Reparatur der Darmschleimhaut bei und beeinflussen die Reifung von Stammzellen im Verdauungstrakt.
Ansatzpunkt für neue Therapien
Gleich mehrere neu identifizierte Risikogene beeinflussen bei Morbus-Crohn-Patienten die Funktion dieser Mesenchymzellen im Darm – und könnten so zu den chronischen Entzündungen beitragen. „Diese mit Morbus Crohn assoziierten Code-Varianten deuten darauf hin, dass eine Störung dieser fein austarierten und für das physiologische Gleichgewicht wichtigen zellulären Prozesse ursächlich zur Anfälligkeit für Morbus Crohn beitragen“, konstatieren die Forschenden.
Die neuen Erkenntnisse könnte damit auch neue Möglichkeiten eröffnen, die entzündliche Darmerkrankung wirksam zu behandeln – beispielsweise durch Wirkstoffe, die gezielt an den mesenchymalen Zellen und ihren Funktionen ansetzen. „Durch diese Gene, die in bisherigen Genomstudien noch nicht aufgefallen sind, werden sich neue Ansätze für Therapieverfahren ergeben“, sagt Koautor Stefan Schreiber von der Universität Kiel. (Nature Genetics, 2022; doi: 10.1038/s41588-022-01156-2)
Quelle: Exzellenzcluster Präzisionsmedizin für chronische Entzündungserkrankungen