Die Süße des Zuckers ist für viele unwiderstehlich – nicht nur zur Weihnachtszeit. Doch wie sich nun zeigt, spielt der Süßgeschmack des Haushaltszuckers eine wichtigere Rolle als gedacht: Er ist es offenbar, der einen großen Teil des Sättigungsgefühls beim Naschen verursacht. Hemmt man dagegen künstlich den Süßgeschmack, macht die gleiche Zuckermenge weniger satt, wie ein Experiment belegt.
Obwohl längst bekannt ist, dass zu hoher Zuckerkonsum eine mögliche Ursache für Übergewicht, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist, können wir dem süßen Geschmack oft nicht widerstehen. Allein in Österreich und Deutschland liegt der Zuckerverzehr im Durchschnitt bei über 30 Kilogramm pro Jahr. Und insbesondere in der Weihnachtszeit versüßen uns zuckrige Sünden wie Schokolade, Lebkuchen und Plätzchen den Alltag und machen uns zumindest dem Anschein nach glücklicher und zumindest zeitweise satt.
Inwieweit trägt die Zuckersüße zur Sättigung bei?
Diesem Mythos sind nun Wissenschaftler um Kerstin Schweiger von der Universität Wien auf den Grund gegangen. Bislang war kaum untersucht, inwieweit die Geschmackswahrnehmung von Zucker zu unserer Sättigung beiträgt. Erstmals prüften die Forscher nun, wie der Süßgeschmack – unabhängig vom Energiegehalt des Zuckers – die spätere Nahrungsaufnahme beeinflusst. „Wir sind der Frage nachgegangen, welche Rolle die Aktivierung des Süßgeschmacksrezeptors bei der Sättigungsregulation spielt“, erklärt Schweigers Kollegin Veronika Somoza.
Hierzu führten sie ein Experiment mit 27 Männern im Alter zwischen 18 und 45 Jahren durch. Dabei erhielten die Probanden entweder eine zehnprozentige Zuckerlösung mit Glukose, also Traubenzucker, mit Saccharose, auch Haushaltszucker genannt, oder eine der beiden Zuckerlösungen mit zusätzlich einem kleinen Anteil Lactisole. Dahinter steckt eine Substanz, die an eine Untereinheit des Süßrezeptors bindet und so die Süßgeschmackswahrnehmung vermindert. Trotz unterschiedlicher Zuckerarten wiesen alle Testlösungen mit und ohne Lactisole den gleichen Energiegehalt auf.
Nach dem Trinken der jeweiligen Testlösung und während der nächsten zwei Stunden danach entnahmen die Wissenschaftler den Teilnehmern in regelmäßigen Abständen Blut und maßen ihre Körpertemperatur. Nach der zweistündigen Wartezeit durften die Teilnehmer schließlich so viel frühstücken, wie sie wollten.
Wer weniger Süße schmeckt, isst mehr
Das Ergebnis: Die Männer, die die lactisolehaltige Lösung mit Haushaltszucker getrunken hatten — also den Zucker weniger schmeckten — aßen beim Frühstück rund 13 Prozent mehr als die Studienteilnehmer, die die Saccharoselösung ohne Lactisole bekommen hatten. Der Mehrverzehr entsprach rund 100 Kilokalorien. Außerdem verringerten sich bei den Männern der Lactisole-Testgruppe die Körpertemperatur um bis zu 20 Prozent und die Konzentration des appetithemmenden Hormons Serotonin im Blut.
Die typischen Effekte des Zuckergenusses waren demnach bei denjenigen schwächer ausgeprägt, die zwar die gleichen Menge Saccharose gegessen hatten, aber weniger davon geschmeckt hatten. Im Gegensatz dazu beobachteten die Wissenschaftler keine Unterschiede zwischen den Probanden, die die lactisolehaltige Glukoselösung und die pure Traubenzuckerlösung getrunken hatten. Sie aßen etwa gleich viel zum Frühstück.
Haushaltszucker aktiviert Rezeptoren
„Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass Saccharose unabhängig von seinem Energiegehalt über den Süßgeschmacksrezeptor die Sättigungsregulation sowie die Energieaufnahme moduliert“, erklärt Schweigers Kollegin Barbara Lieder. Den Forschern zufolge löst der Haushaltszucker demnach einen Teil seines Sättigungsgefühls aus, weil er eine bestimmte Untereinheit der Süßgeschmacksrezeptoren aktiviert.
„Warum wir den Lactisole-Effekt nicht bei Glukose beobachten konnten, wissen wir noch nicht genau“, ergänzt Schweiger. „Wir vermuten jedoch, es liegt daran, dass Glukose und Saccharose den Süßrezeptor auf unterschiedliche Weise aktivieren. Zudem gehen wir davon aus, dass Süßrezeptor-unabhängige Mechanismen eine Rolle spielen.“
Zuckerwirkung noch lange nicht erklärt
„Es besteht also noch viel Forschungsbedarf, um die komplexen Zusammenhänge zwischen Zuckerkonsum, Geschmacksrezeptoren und Sättigungsregulation auf molekularer Ebene zu klären“, so Somoza. Insbesondere über die Süßrezeptoren, die im Verdauungstrakt liegen, und deren dortige Funktion sei bisher kaum etwas bekannt, so die Forscher. Außerdem beruhen die Ergebnisse lediglich auf Untersuchungen an einer sehr kleinen Testgruppe mit ausschließlich männlichen Teilnehmern.
Dass aber gerade der so verpönte weiße Zucker, wenn er auch ungesund ist, wenigstens ein Sattmacher sein könnte, ist im Hinblick auf Weihnachten für alle Plätzchen- und Schokoladenliebhaber wohl zumindest eine beruhigende Botschaft. (Nutrients, 2020, doi: 10.3390/nu12103133)
Quelle: Universität Wien