Medizin

Zweisprachigkeit verzögert Alzheimer

Aktive Nutzung zweier Sprachen schützt das Gehirn auf doppelte Weise vor der Demenz

Gesundes (links) und durch Alzheimer geschrumpftes Gehirn © NIH

Schützende Reserve: Wer bis ins Alter zwei Sprachen spricht, der kann das Auftreten von Alzheimer zumindest hinauszögern. Denn bei Zweisprachigen dauert es im Schnitt fünf Jahre länger, bis die Symptome der Demenz spürbar werden, wie eine Studie nun bestätigt. Der Grund für die positive Wirkung: Zweisprachige besitzen mehr graue und weiße Hirnsubstanz und die Hirnareale sind bei ihnen stärker funktionell verknüpft. Das erleichtert es dem Gehirn, Verluste von Gehirnzellen zu kompensieren, wie die Forscher erklären.

Die Sprache ist nicht nur ein wichtiges Mittel der Kommunikation, sie prägt und verändert auch unsere Wahrnehmung und unser Gehirn. Sie bestimmt unter anderem, wie wir Ereignisse wahrnehmen und welche Sinne beim Zuhören beteiligt sind. Bei Menschen, die zwei Sprachen beherrschen oder sogar zweisprachig aufwachsen, lernt das Gehirn, die verschiedenen Laute in jeweils eigenen Bereichen zu verarbeiten und effektiv umzuschalten.

Kann Zweisprachigkeit helfen?

Schon länger vermuten Mediziner deshalb, dass die Zweisprachigkeit ähnlich wie Gehirnjogging wirkt – und sogar den Beginn einer Alzheimer-Demenz deutlich hinauszögern kann. Die Theorie dahinter: Weil das Denkorgan von Zweisprachigen gewohnt ist, stärker gefordert zu sein, entwickelt es eine Art geistiger Reserve. Durch dieses Plus an Leistung kann es Ausfälle durch die Demenz länger kompensieren.

Ob diese Theorie stimmt und wie sich eine Zweisprachigkeit konkret auf das Gehirn von Alzheimer-Patienten auswirkt, haben nun Daniela Perani von der San Raffaele Universität in Mailand und ihre Kollegen untersucht. Für ihre Studie verglichen sie den Stoffwechsel und die funktionelle Verknüpfung im Gehirn von 45 zweisprachigen und 40 einsprachigen Alzheimer-Patienten.

Fünf Jahre verzögert

Die Auswertung ergab tatsächlich auffallende Unterschiede: Die zweisprachigen Patienten waren im Mittel fünf Jahre älter als einsprachige Teilnehmer mit ähnlichen Demenzsymptomen, wie die Forscher berichten. Die bilingualen Teilnehmer schnitten zudem in Tests der geistigen Leistung besser ab – sowohl in Bezug auf das Kurz- und Langzeitgedächtnis als auch bei visuell-räumlichen Aufgaben.

„Das deutet darauf hin, dass zweisprachige Menschen den Verlust von Hirnstrukturen und Hirnfunktionen durch Alzheimer besser kompensieren können“, sagen Perani und ihre Kollegen. Dieser schützende Effekt fiel dabei umso stärker aus, je intensiver die Patienten auch im Alter noch die zweite Sprache nutzten. Fast vergessenes und nie wieder genutztes Schulfranzösisch bringt demnach eher wenig.

Stoffwechselaktivität in verschiedenen Hirnarealen bei zwei- und einsprachigen Alzheimer-Patienten: Es gibt Unterschiede. © Perani et al./ PNAS

Mehr Substanz und stärker vernetzt

Warum das Beherrschen einer zweiten Sprache die Demenz zumindest in Teilen ausgleichen und hinauszögern kann, zeigte sich bei Hirnscans der Probanden. Die Forscher verwendeten dafür eine spezielle Form der Positronen-Emissions-Tomografie (PET), mit der sowohl die Stoffwechselaktivität als auch funktionelle Verknüpfungen von Hirnarealen sichtbar werden.

Das Ergebnis: Bei den zweisprachigen Teilnehmern waren die graue und weiße Hirnsubstanz in einigen Hirnarealen für Sprache und Gedächtnis wichtigen Hirnarealen dicker als bei den einsprachigen Patienten. Gleichzeitig waren verschiedene Hirnbereich funktionell stärker miteinander vernetzt, wie die Forscher berichten.

Doppelter Schutz

Nach Ansicht von Perani und ihren Kollegen könnte die Zweisprachigkeit demnach auf doppelte Weise vor den Folgen von Alzheimer schützen. Zum einen besitzt das Gehirn von bilingualen Menschen mehr strukturelle Reserven: Es gibt mehr graue und weiße Substanz, so dass die von der Demenz zerstörten Hirnzellen weniger stark ins Gewicht fallen.

Zum andern aber erhöht die Zweisprachigkeit auch die Fähigkeit des Gehirns zur Kompensation: Weil die Hirnareale besser vernetzt sind, können noch gesunde Bereiche zumindest in Teilen die Funktionen der bereits geschädigten Bereiche übernehmen. „Beide Mechanismen zusammen könnten erklären, warum zweisprachige Menschen im Schnitt vier bis fünf Jahre später an Alzheimer erkranken als Personen, die nur eine Sprache beherrschen.“

Gezielte Programme zum Sprachentraining bei älteren Menschen seien daher sehr sinnvoll und sollten stärker gefördert werden, meinen die Wissenschaftler. Auch die zweisprachige Erziehung bei Kindern könnte ihrer Ansicht nach helfen, im späteren Leben eine Demenz hinauszuzögern. (Proceedings of the National academy of Scienes, 2017; doi: 10.1073/pnas.1610909114)

(PNAS, 31.01.2017 – NPO)

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