Premiere: Physiker haben erstmals eine Transportbox für Antimaterie konstruiert – eine mobile Magnetfalle für Antiprotonen. In ihr hält ein supraleitender Maget die Antiteilchen in einer Vakuumkammer in der Schwebe und verhindert so ihre Auslöschung durch Materiekontakt. Mit diesem System soll bald Antimaterie vom Forschungszentrum CERN in Labore in ganz Europa gebracht werden – eine weltweite Premiere. Das erste Ziel des ehrgeizigen Transport-Projekts ist ein Messlabor in Düsseldorf.
Für jedes Teilchen in unserer Welt existiert ein Gegenpart aus Antimaterie – eine Art verkehrtes Spiegelbild. Diese Antiteilchen sind begehrte Forschungsobjekte, weil sie mehr über die Grundkräfte der Physik, das Standardmodell und die bisher unerklärliche Dominanz der Materie über Antimaterie in unserem Universum verraten könnten. Doch Antimaterie ist schwer zu erzeugen und zu speichern. Denn kommt ein Antiteilchen mit normaler Materie in Kontakt, löschen sich beide gegenseitig aus.
Von der Antimaterie-Fabrik ins Messlabor
Bisher kann deshalb nur ein einziger Ort auf der Welt Antimaterie lange genug erhalten, um damit zu forschen: das Forschungszentrum CERN bei Genf. Dort erzeugt ein spezieller Beschleuniger Antiprotonen, die zu Antiwasserstoff kombiniert und stark heruntergekühlt werden können. In speziellen Magnetfallen lässt sich diese langsame, kalte Antimaterie dann über Monate hinweg aufbewahren. Dies ermöglicht unter anderem Vergleichsmessungen von Antimaterie und Materie.
Das Problem jedoch: Die CERN-Anlage, in der die Antiprotonen erzeugt und aufbewahrt werden, eignet sich nicht für hochgenaue Messungen. „Die Beschleuniger-Technik in der Halle erzeugt Magnetfeld-Schwankungen, die die Präzision unserer Messungen limitieren“, erklärt Stefan Ulmer von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Sprecher des BASE-Experiments am CERN. „Wenn wir die fundamentalen Eigenschaften der Antiprotonen besser verstehen wollen, müssen wir dort weg.“
Konkret ist das Ziel der Antiprotonen die rund 700 Kilometer vom CERN entfernte Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Dort existiert ein Labor, in dem Antimaterie-Vergleichsmessungen mit 100-fach höherer Präzision als in der Antimaterie-„Fabrik“ des CERN durchgeführt werden sollen. Doch dafür müssen die Antiteilchen erst einmal dorthin gelangen.
Ein Transport-Container für Antiprotonen
An diesem Punkt kommt der neu entwickelte Transportcontainer ins Spiel. Im Rahmen des Projekts BASE-STEP haben die Physiker um Ulmer erstmals eine Anlage entwickelt und konstruiert, die den Transport von Antimaterie erlaubt. „Der Hauptteil des Transportsystems passt in einen zwei Meter langen, 87 Zentimeter breiten und 1,85 Meter hohen Aluminium-Container“, berichten Ulmer und sein Team. Die Anlage ist damit klein genug, um durch Labortüren und auf die Ladefläche eines Lastwagens zu passen. Sie wiegt knapp eine Tonne.
Das Entscheidende ist jedoch das Innenleben des Antimaterie-Transporters, denn dieses muss sicherstellen, dass die Antiprotonen unterwegs stabil bleiben und nicht mit dem Material der Wände oder von außen eindringenden Teilchen in Kontakt kommen. Erreicht wird dies durch eine Magnetfalle, die in eine Vakuumkühlkammer integriert ist. „Diese Kammer ist dafür ausgelegt, in ihrem Zentrum ein Vakuum von weniger als 0,1 Billiardstel Millibar Druck zu erzeugen“, berichten die Physiker.
In der Schwebe trotz Erschütterungen
Um die Antimaterie-Teilchen in der Schwebe und von den Kammerwänden entfernt zu halten, liegen Vakuumkammer und Penningfalle im Zentrum eines supraleitenden Magneten. Durch dessen Magnetfeld und zwei bewegliche Elektrodenplatten kann die Bewegung der Antiprotonen in der Falle kontrolliert werden. Eine spezielle Zuleitung erlaubt das Einfüllen der Antiprotonen direkt am Beschleunigersystem des CERN und das Auslassen am Zielort.
Bis die Antimaterie dort ankommt, muss sie jedoch das Verladen auf einen LKW überstehen und die Fahrt auf normalen Straßen quer durch Europa. „Während des Transports ist unsere Antimaterie-Falle immer wieder Beschleunigungen und Vibrationen ausgesetzt. Wir mussten daher ein Fallensystem entwickeln, das robust genug ist, um diesen Kräften standzuhalten“, erklärt BASE-STEP-Projektleiter Christian Smorra von der Universität Mainz. Ein zusätzlicher Heliumtank soll zudem dafür sorgen, dass der supraleitende Magnet auch unterwegs weiter gekühlt werden kann.
Erfolgreiche Testfahrt mit Protonen
Wie gut dieses Transportsystem funktioniert, haben die CERN-Physiker im Oktober 2024 getestet – allerdings zunächst mit normalen Protonen. „Wenn man das mit Protonen schafft, wird es auch mit Antiprotonen funktionieren“, erklärt Smorra. Denn auch die Protonen sind extrem labil und dürfen möglichst nicht mit der Behälterwand in Kontakt kommen, weil sie sonst sofort mit den dortigen Atomkernen verschmelzen. „Der einzige Unterschied ist, dass man für die Antimaterie ein noch besseres Vakuum braucht“, so Smorra.
Beim Testtransport pumpten die Forscher zunächst 70 Protonen in die Magnetfalle, verschlossen diese und bugsierten dann den gesamten Container mit zwei Kränen auf einen Lastwagen. Der LKW fuhr dann mitsamt der gefangenen Teilchen einmal quer über das Gelände des CERN. Mit Erfolg: Die Protonen überstanden die Testfahrt intakt. Es war zudem das erste Mal, dass einzelne schwebende Teilchen in einer solchen wiederverwendbaren Falle transportiert worden sind, wie das CERN berichtet.
Erster Antimaterie-Transport folgt im nächsten Jahr
Der erste Test mit Antimaterie wird nächstes Jahr erfolgen, auch dabei steht zunächst eine Fahrt über das CERN-Gelände an. Geht dabei alles glatt, werden die Physiker den Transport der Antiprotonen nach Düsseldorf vorbereiten. „Längerfristig wollen wir dann die Antimaterie an jedes Labor in Europa liefern können“, erklärt Smorra. Für weitere Strecken wird es allerdings nötig sein, einen Stromgenerator für das Kühlsystem in die Transportanlage zu integrieren.
Nach Ansicht der Physiker könnte der Transport von Antimaterie die physikalische Forschung bedeutend voranbringen. „Dies ist eine völlig neue Technologie, die uns die Tür öffnet für ganz neue Forschungsmöglichkeiten, nicht nur mit Antiprotonen, sondern auch mit anderen exotischen Teilchen wie ultrahochgeladenen Ionen“, erklärt Ulmer. Das könnte helfen, den Symmetriebruch zwischen Antimaterie und Materie zu finden, aber auch die lange gesuchten Teilchen der Dunklen Materie. (Review of Scientific Instruments, doi: 10.1063/5.0155492)
Quelle: CERN