Winzig klein und rasend schnell: Physiker haben eine Methode entwickelt, die die ultraschnelle Bewegung von Elektronen in Materialien zeigt. Die hohe zeitliche Auflösung von wenigen hundert Attosekunden erlaubt es, die Elektronenbewegung und ihre Interaktionen mit Ladungen und Teilchen mit zuvor unerreichter Präzision zu verfolgen. Dies könnte der Grundlagenforschung, aber auch praktischen Anwendungen in Elektronik, Optoelektronik und Quantentechnologien zugutekommen, wie das Team in „Nature“ berichtet.
Ob Halbleiter, Metall oder exotische topologische Materialien: Welche Eigenschaften ein Material hat, hängt entscheidend vom Verhalten seiner Elektronen ab. Ihre Beweglichkeit, Wechselwirkung mit Atomen und äußeren Einflüssen sowie ihre Energiezustände beeinflussen, welche elektrophysikalischen Merkmale ein Material besitzt und wozu es sich nutzen lässt. Doch wegen der geringen Masse der Elektronen laufen all diese Vorgänge unvorstellbar schnell ab. Um sie einzufangen, sind Messungen im Attosekundenbereich nötig – dem milliardsten Bruchteil einer Milliardstel Sekunde.
Elektronen auf Schleuderkurs
Jetzt haben Josef Freudenstein von der Universität Regensburg und seinen Kollegen eine Messmethode entwickelt, deren zeitliche und räumliche Präzision erstmals für die Verfolgung der Elektronenbewegung ausreicht. Basis der neuen „Attosekunden-Stoppuhr“ sind winzige Plättchen des kristallinen Halbleitermaterials Wolframdiselenid (WSe2), die zwei verschiedenen Arten elektromagnetischer Strahlung ausgesetzt werden – einer im Nahinfrarot und einer im Terahertzbereich.
Der erste Strahlenpuls regt Elektronen im Material an und löst sie aus ihren Positionen, so dass freie, Elektronen und positiv geladene Leerstellen entstehen. Das folgende Terahertzfeld beschleunigt die Elektronen zunächst in eine Richtung. Dann wird das Feld jedoch umgepolt, bringt die Elektronen zur Umkehr und lässt sie wieder mit ihren Löchern kollidieren. Diese „Wiedervereinigung“ der Ladungen setzt sogenannte High-Order-Sideband-Strahlung frei, Strahlung spezifischer Frequenzen.
Durch Messung der Zeit zwischen Anregung, Terahertzpuls und Strahlenemission können die Physiker nachvollziehen, wie weit sich die Elektronen in der Zwischenzeit bewegt haben und welche Interaktionen sie eingegangen sind.
Zeitliche Auflösung von 300 Attosekunden
Im Experiment konnten die Physiker mit dieser Methode das Verhalten der Elektronen bis auf 300 Attosekunden genau messen. Diese zeitliche Auflösung reicht aus, um kleinste Änderungen in der Dynamik der Elektronen zu untersuchen. Über die Messdaten lässt sich nicht nur erschließen, dass Wechselwirkungen stattgefunden haben, sondern auch wie. „Es ist ziemlich unerwartet, dass solche Präzisionsmessungen überhaupt möglich sind, wenn man sich vergegenwärtigt, wie kurz eine Schwingung des Lichts ist – und unsere Zeitauflösung ist noch 100-mal höher“, sagt Seniorautor Rupert Huber von der Universität Regensburg.
Die Methode zeigt auch, wie sich das Elektronenverhalten ändert, wenn man ein Material auf nur eine Moleküllage ausdünnt oder das beschleunigende Terahertzfeld verstärkt. Im ersten Fall erhöht sich die Anziehung zwischen den Ladungsträgern um ein Vielfaches, im zweiten vollenden die Elektronen ihren Kollisionskurs schneller. Das gleiche wird auch beobachtet, wenn viele Elektronen zeitgleich ihre Bewegung starten. Dann schirmen sie sich gegenseitig ab und die Ladungsträger sehen nur noch schwache Anziehungskräfte.
Bedeutung für Elektronik und Quantentechnologien
Nach Ansicht der Physiker könnte die neue Attosekunden-Stoppuhr neue Einblicke in entscheidende Prozesse in Halbleitern und anderen technologisch bedeutsamen Materialien geben. Das wiederum könnte auch der Materialentwicklung und praktischen Anwendungen in der Elektronik, Optoelektronik und Quantentechnologien zugutekommen. „Unsere Attosekunden-Stoppuhr für Festkörper könnte ein echter Game-Changer werden und es uns erlauben, neuartige Quantenmaterialien mit maßgeschneiderten Eigenschaften zu entwickeln“, sagt Huber.
Aber auch für die Grundlagenforschung ist die Methode hilfreich: „Auf der Attosekunden-Zeitskala lassen sich Wechselwirkungseffekte nicht mehr mit den Gesetzen der klassischen Physik erklären, sie sind vielmehr rein quantenmechanischer Natur“, erklärt Koautor Mackillo Kira von der University of Michigan. „Direkt in der Zeitdomäne zu verfolgen, wie sie die Bewegung der Elektronen beeinflussen, ist daher immens hilfreich, um modernste Vielteilchen-Quantentheorien zu testen.“ (Nature, 2022; doi: 10.1038/s41586-022-05190-2)
Quelle: Nature, Universität Regensburg, University of Michigan