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Chemie

Auf dem Weg zu Element 120?

Titan-Strahl eröffnet Chance auf die Erzeugung von Elementen jenseits des Periodensystems

Ende des Periodensystems
Gibt es im Periodensystem noch Elemente jenseits von Oganesson mit der Ordnungszahl 118? Das wollen Kernphysiker herausfinden. © PeterHermesFurian/ iStock

Über das Periodensystem hinaus: Kernphysikern ist ein wichtiger Schritt zur Herstellung des Elements 120 gelungen – einem noch unentdeckten Element jenseits des bisher schwersten bekannten Atoms. Erstmals erzeugten sie das superschwere Element Livermorium (116) durch einen energiereichen Strahl aus Titan-50-Isotopen. Wird der Titan-Strahl künftig auf Californium statt Plutonium geschossen, könnte das Element 120 entstehen. Dies soll schon innerhalb der nächsten Jahre passieren, wie das Team berichtet.

Bisher umfasst unser Periodensystem 118 Elemente – Oganesson schließt die siebte und letzte Periode der Elementtabelle ab. Doch was kommt danach? Kann es jenseits von Element 118 noch weitere superschwere Elemente geben? Kernphysiker vermuten, dass es jenseits des aktuellen Periodensystems sogar eine Insel der Stabilität geben könnte, durch die noch schwerere Atome sogar wieder etwas stabiler und langlebiger sein könnten als die jetzigen Atomgewichts-Rekordhalter. Auch im Weltall werden noch unbekannte superschwere Elemente vermutet.

Calcium
Die superschweren Elemente ab Ordnungszahl 112 wurden alle mithilfe eines schweren Calcium-Isotops erzeugt. © Jcrosemann/ iStock

Bisher erzeugten die „Elementmacher“ neue superschwere Atomsorten mithilfe eines energiereichen Strahls des schweren, stabilen Isotops Calcium-48. Mit diesem beschossen sie Platten aus Actinoiden vom Plutonium aufwärts. Durch Atomkollisionen kommt es dabei zur Fusion und ein neues, noch schwereres Element entsteht.

Neue Methode gesucht

Das Problem jedoch: Für Elemente mit den Ordnungszahlen 119 und 120 reicht der Calcium-Strahl nicht aus. Denn dafür bräuchte man als Zielplatte Einsteinium (Ordnungszahl 99) oder Fermium (100). „Leider kann keines diese beiden Elemente in ausreichender Menge produziert werden, um daraus geeignete Ziele zu machen“, erklären Jacklyn Gates vom Lawrence Berkeley National Laboratory (LBNL) und ihre Kollegen. Deshalb suchen Kernphysiker nach anderen Elementkombinationen, durch die diese Atome entstehen könnten.

„Mehrere Experiment-Kampagnen haben versucht, neue Elemente mit den Ordnungszahlen 119, 120 und 122 zu erzeugen, indem sie verschiedene Elementkombinationen verwendeten – bisher erfolglos“, berichten Gates und sein Team. Denn bei den meisten Kombinationen kommt es nicht häufig genug zu Atomkollisionen, die in einer Fusion resultieren. Physiker sprechen dann von einem zu kleinen Kollisions-Querschnitt.

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Titan statt Calcium

Jetzt haben Gates und sein Team eine neue, vielversprechendere Methode entwickelt und getestet. Bei dieser wird als Atomstrahl nicht das gängige Calcium-48, sondern das schwerere Isotop Titan-50 eingesetzt. Dieses besitzt 22 Protonen und kann daher zusammen mit einem Ziel aus Californium-249 mit 98 Protonen theoretisch zu einem Atom des Elements 120 verschmelzen. Voraussetzung dafür ist es jedoch, einen solchen Titan-50-Strahl mit ausreichender Intensität herzustellen.

Element 120
Für Element 120 wird ein Titan-Strahl auf eine Zielplatte aus Californium geschossen. © Jenny Nuss/Berkeley Lab

Dies ist den Kernphysikern nun gelungen. Ausgangspunkt war ein kleines Stück des Isotops 50Ti, das rund fünf Prozent des natürlich vorkommenden Titans ausmacht. Dieses wird in einem winzigen Ofen verdampft und in einem Magnetfeld mit Mikrowellen bestrahlt. Dadurch werden den Atomkernen zwölf ihrer 22 Elektronen entrissen, so das stark positiv geladene Titan-Ionen entstehen. Diese Schwerionen können dann in einem Teilchenbeschleuniger auf hohe Energie beschleunigt werden.

„Wir wussten, dass es nicht einfach ist, Titan-Strahlen mit hohen Teilchenraten zu erzeugen, denn Titan reagiert mit vielen Gasen und das beeinträchtigt die Ionenquelle und die Strahlstabilität“, sagt Damon Todd vom LBNL. Doch es gelang: Die Physiker erzeugten einen Titan-Strahl, in dem rund sechs Billionen Titanatome pro Sekunde auf die sich drehende Zielplatte einschlugen.

Element 116
So haben die Kernphysiker das Element 116 mit einem Titan-Strahl erzeugt. © Jenny Nuss/Berkeley Lab

Element 116 als erster Test

Als ersten Machbarkeitstest schoss das Team diesen Titanstrahl auf ein Ziel aus Plutonium und erzeugte damit zwei Atome des Elements 116 – Livermorium. Es ist das erste Mal, dass ein superschweres Element mithilfe eines Titan-50-Strahls hergestellt wurde. „Dieser Syntheseweg wurde noch nie zuvor demonstriert“, sagt Gates. „Es war aber essenziell, ihn zu beweisen, bevor wir versuchen, das Element 120 zu erzeugen.“

„Es war ein wichtiger erster Schritt, zunächst etwas Leichteres als ein noch unentdecktes Element zu erzeugen, um unsere Methode zu testen“, ergänzt Gates‘ Kollegin Jennifer Pore. „Indem wir Element 116 mithilfe von Titan erzeugten, haben wir bewiesen, dass diese Produktionsmethode funktioniert. Wir konnten so auch sehen, wie sich beim Wechsel vom Calcium- zum Titanstrahl die Rate der Elementbildung verändert.“

Erste Versuche für Element 120 beginnen 2025

Im nächsten Schritt wollen Gates und seine Kollegen dann versuchen, Element 120 zu erzeugen. Zurzeit arbeiten sie noch daran, das für die Zielplatte benötigte Californium-249 herzustellen. „Wir haben gezeigt, dass wir eine Anlage besitzen, mit der dies grundsätzlich möglich ist“, sagt Reiner Kruecken, Leiter der Kernphysik-Abteilung am LBNL. „Sobald wir unser Ziel, die Abschirmung und die Kontrollmechanismen eingebaut haben, können wir diese Herausforderung angehen.“

Schon ab 2025 sollen dann die ersten Experimente beginnen. Aufgrund des in den aktuellen Tests beobachteten Kollisionsquerschnitts schätzen Gates und sein Team, dass für Element 120 etwa zehnmal mehr Zeit und Kollisionen nötig sein werden als beim Element 116 – sofern es überhaupt erzeugt werden kann. Wenn es das Element 210 gibt, würde es im Periodensystem eine achte, zusätzliche Zeile eröffnen. (Nuclear Structure 2024, Physical Review Letters, submitted; doi: 10.48550/arXiv.2407.16079)

Quelle: DOE/ Lawrence Berkeley National Laboratory

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