Physik

Durchbruch auf dem Weg zur Atomkern-Uhr

Erster Nachweis der beim Zustandswechsel im Thorium-Atomkern freigesetzten Photonen

Thorium
Der Atomkern des Isotops Thorium-229 könnte zum Taktgeber künftiger Atomkern-Uhren werden. Eine wichtige Voraussetzung dafür haben Physiker nun geschaffen. © Blueringmedia/ Getty images

Entscheidendes Signal: Physikern ist ein wichtiger Schritt zur Atomkern-Uhr gelungen – einer neuartigen, besonders präzisen und robusten Alternative zu gängigen Atomuhren. Sie konnten erstmals die Photonen einfangen, die beim Zustandswechsel im Atomkern von Thorium-229 freiwerden. Dies ermöglichte es, die genaue Energie dieses Übergangs zu messen, wie die in „Nature“ berichten. Dieses Wissen ist die Voraussetzung, um eine solche Atomkern-Uhr zum „Ticken“ zu bringen und die dafür nötigen Laser zu entwickeln.

Atomuhren auf Basis von Cäsium-, Strontium– oder Ytterbium-Atomen sind die Basis unserer Zeitmessung und vieler technischer Anwendungen. Als Taktgeber nutzen sie den mittels Mikrowellen- oder Laserstrahlung angeregten Wechsel von Elektronen zwischen zwei Energiezuständen. Die dafür nötige Frequenz bildet das „Ticken“ der Uhr. Solche optischen Atomuhren sind so genau, dass sie in 15 Milliarden Jahren nicht eine Sekunde vor oder nachgehen würden.

Thorium-229 als Uhr
Im Jahr 2019 identifizierten Physiker einen für eine Atomkern-Uhr geeigneten Zustandswechsel beim Isotop Thorium-229. © TU Wien

Zustandswechsel im Atomkern als „Ticken“

Doch es ginge noch besser – mit einer Atomkern-Uhr. Denn auch die Protonen und Neutronen im Atomkern können verschiedene Energiezustände einnehmen – und diese sind robuster und „ticken“ schneller als bei gängigen Atomuhren. Um eine Atomkern-Uhr zu konstruieren, muss man jedoch ein Atom finden, das möglichst wenig Energie für den Zustandswechsel braucht. Dies gelang Physikern im Jahr 2019: Sie identifizierten einen passenden Anregungszustand beim Atomkern des Thorium-Isotops 229.

Außerdem muss man jedoch wissen, welche Energiezufuhr für diesen Übergang nötig ist – nur dann kann man Laser entwickeln, die genau diese Frequenz anregen. „Man kann sich das vorstellen wie bei einer Stimmgabel“, erklärt Erstautor Sandro Kraemer von der Ludwig-Maximilians-Universität München. „Der Laser ist das Musikinstrument, mit dem man versucht, die Frequenz der Stimmgabel Thoriumkern zu treffen.“

Bei welcher Energie erfolgt der Übergang?

Das Problem: Erste Messungen legten zwar nahe, dass Thorium-229 nur rund acht Elektronenvolt für den Zustandswechsel benötigt. Doch der genaue Wert ist unklar, weil die Erzeugung des synthetischen Thorium-Isotops aufwendig und seine Anregung ohne genaues Wissen um die richtige Frequenz schwierig ist. Hinzu kommt, dass man für eine Atomkern-Uhr die Photonen messen muss, die der Atomkern beim Rücksprung freisetzt. Beim Thorium-229 geschieht dies jedoch nur bei manchen Zustandswechseln.

Diese Hürden haben nun Kraemer und sein Team überwunden. Für ihr Experiment produzierten sie das Thorium-229 nicht über die sonst übliche Zerfallskette aus Uran-233, sondern nutzen einen anderen Ansatz: „Man beginnt bei bestimmten Isotopen von Francium und Radium“, erklärt Koautor Thorsten Schumm von der TU Wien. „Sie können in Actinium zerfallen, und Actinium wiederum zerfällt in Thorium.“ Praktischerweise entsteht beim Beta-Zerfall des Actinium-229 ein Thorium-229-Kern, der schon von vornherein im gewünschten angeregten Zustand ist.

Kristalle unter radioaktivem Beschuss

Doch um diese Zerfallskette zu erzeugen, ist einiges an Aufwand nötig: Die Ausgangskerne Francium-229 und Radium-229 kommen in der Natur nicht vor und können nur in wenigen Forschungseinrichtungen weltweit künstlich erzeugt werden. Eine davon ist die ISOLDE-Anlage am Forschungszentrum CERN bei Genf. Dort produzierten die Physiker aus den beiden exotischen Isotopen die als Vorstufe nötigen Actinium-229-Kerne und nutzten dann einen weiteren Kniff: Sie schossen die Actinium-Kerne in Calcium-Fluorid und Magnesiumfluorid-Kristalle.

Der Grund: „Indem wir diese Isotope in die Kristalle einbrachten, konnten wir viel mehr Thorium-229-Kerne erzeugen – und unsere Chancen erhöhen, sie beim radiativen Zerfall zu beobachten“, erklärt Kraemer. Denn die Einbettung der Thorium-Kerne in das Kristallgitter unterdrückte die sonst dominante Reaktion der Atomkerne beim Zustandswechsel zugunsten der Freisetzung eines Photons. Weil diese Kristalle zudem in dem Wellenlängenbereich transparent sind, den diese Photonen einnehmen, konnten die Physiker sie einfangen und mithilfe der Vakuum-UV-Spektroskopie messen.

Wie das Experiment an der ISOLDE-Anlage ablief.© CERN

Photonen verraten Übergangs-Energie

Damit ist es erstmals gelungen, den Zustandswechsel beim Thorium-229-Kern anhand der freigesetzten Photonen zu beobachten – und die dafür nötige Energie genau zu messen. Demnach benötigt das Thorium-Isotop eine Energie von 8,338 ± 0,024 Elektronenvolt, um vom Grundzustand in den angeregten Zustand zu springen. „Dies verringert die bisherige Messunsicherheit um den Faktor sieben“, berichten die Physiker. Damit schafft diese Messung die Voraussetzung, um die Laser für eine Thorium-Atomkern-Uhr entsprechend zu justieren.

„Unsere Studie markiert einen entscheidenden Schritt in diese Richtung“, sagt Koautor Piet Van Duppen von der Katholischen Universität Leuven. „Dies wird die Entwicklung der Laser erleichtern, die als Treiber für den periodischen Zustandsübergang gebraucht werden – erst sie bringen eine solche Uhr zum Ticken.“ Ähnlich sieht es auch die nicht an der Studie beteiligte Physikerin Adriana Pálffy von der Universität Würzburg: „Die Resultate von Kraemer und seinen Kollegen sind zweifellos ein wichtiger Schritt für die Entwicklung einer Atomkern-Uhr“, kommentiert sie.

Der nächste Schritt ist nun, Thorium-229-Atomkerne erstmals mit einem Laser anzuregen. Durch dessen Justierung lässt sich dann die Frequenz des „Tickens“ immer weiter eingrenzen – bis die perfekt passende Anregungsfrequnz gefunden ist.

Prototyp in weniger als zehn Jahren

Allerdings sind bis zur Konstruktion einer praktikablen Atomkern-Uhr noch einige weitere Schritte nötig. So konnte das Team zwar bereits ermitteln, dass die Halbwertszeit des Thorium-229 bei 16,1 ± 2,5 Minuten liegt. Um die Präzision einer Atomkern-Uhr zu kennen, sind dafür aber noch genauere Werte nötig. Und auch die für diese Uhr benötigten Laser müssen erst noch entwickelt werden. Dennoch halten Kraemer und seine Kollegen erste Prototppen einer Atomkern-Uhr schon in weniger als zehn Jahren durchaus für möglich.

„Vielleicht schaffen wir es noch bis 2030, rechtzeitig zur Neudefinition der Zeit“, hoffen die Physiker. Denn bis dahin soll die soll die physikalische Definition der Sekunde – und damit die SI-Einheit für die Zeit – neu definiert werden. (Nature, 2023; doi: 10.1038/s41586-023-05894-z)

Quelle: CERN, Technische Universität Wien

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