Physik

Erstes Bose-Einstein-Kondensat aus polaren Molekülen

Physiker bringen Moleküle mit ungleicher Ladungsverteilung in den exotischen Quantenzustand

Bose-Einstein-Kondensat aus polaren Molekülen
Mithilfe eines speziellen Mikrowellen-"Kühlschranks" haben Physiker erstmals ein Bose-Einstein-Kondensat aus polaren Molekülen erzeugt. © Will Lab/ Columbia University, Myles Marshall

Ultrakalter Durchbruch: Physiker haben erstmals polare Moleküle in ein Bose-Einstein-Kondensat überführt. In diesem Quantenzustand verhalten sich die einzelnen Moleküle wie ein gekoppeltes Ganzes. Möglich wurde dies durch ein spezielles Mikrowellen-Kühlsystem, das eine Wolke polarer Natrium-Cäsium-Moleküle bis auf fünf Nanokelvin herunterkühlte – und so den Übergang zum Quantenzustand des Kondensats ermöglichte, wie das Team in „Nature“ berichtet. Das neue Molekül-Kondensat eröffnet nun ganz neue Chancen der Forschung und Anwendung.

Vor fast genau 100 Jahren postulierten Albert-Einstein und Satyendra Nath Bose die Existenz der heute nach ihnen benannten Bose-Einstein-Kondensate. In diesem Zustand verlieren Teilchen ihre Eigenständigkeit und verhalten sich wie eine einzige Materiewelle oder ein Riesenatom – ihre Wellennatur schwingt quasi im Gleichtakt. Erreicht wird dieser Quantenzustand, wenn man Teilchenwolken bis auf knapp über dem absoluten Nullpunkt herunterkühlt. Physiker haben solche Bose-Einstein-Kondensate inzwischen aus verschiedenen Atomen und Quasiteilchen erzeugt – und sogar im Weltraum.

Ungleiche Ladungsverteilung behindert die Kühlung

Doch eine wichtige Sorte fehlte noch: ein Bose-Einstein-Kondensat aus polaren Molekülen. „Solche degenerierten Quantenzustände ultrakalter bipolarer Moleküle könnten es ermöglichen, neue Zustände der Materie zu erzeugen, und eröffnen neue Wege für die Quantensimulation und für Quantencomputer“, erklären Niccolò Bigagli von der Columbia University in New York und seine Kollegen. Das Problem jedoch: Bisher war es nie gelungen, solche polaren Moleküle weit genug herunterzukühlen, um ein Kondensat zu bilden.

Der Grund dafür ist die ungleiche Ladungsverteilung in polaren Molekülen, wie beispielsweise im Wassermolekül: Weil der Sauerstoff die Bindungselektronen stärker zu sich zieht, trägt das H2O-Molekül an einem Ende eine positive, am andern eine negative Teilladung. Das beeinflusst das Verhalten der Moleküle bei Kollisionen und verhindert, dass sie weit genug heruntergekühlt werden können. Erst im Jahr 2023 gelang es dem Team um Bigagli, für dieses Problem eine Lösung zu finden.

Vakuumkamer
Blick auf die Vakuumkammer, in der die Wolke als Natrium-Cäsium-Molekülen heruntergekühlt wurde. © Will Lab/ Columbia University

Zwei Mikrowellenfelder als Puffer

Für ihr Experiment nutzten die Physiker zunächst die gängige Laserkühlung, um eine Wolke aus rund 30.000 Natrium-Cäsium-Molekülen bis auf 700 Nanokelvin abzukühlen – 700 Milliardstel Grad über dem absoluten Nullpunkt. Dann kam die Neuerung ins Spiel: „Für eine effektive Verdunstungskühlung müssen die Verluste durch Kollisionen stark unterdrückt werden“, erklärt das Team. „Um dies zu erreichen, setzen wir die Moleküle zwei verschiedenen Mikrowellen-Feldern aus, einem mit einer zirkulären Polarisation und einer mit linearer.“

Die Mikrowellen wirken dabei wie eine Art Puffer, die die polaren Moleküle daran hindern, bei Kollisionen miteinander zu verklumpen. Dies ermöglichte es Bigagli und seinen Kollegen, die Natrium-Cäsium-Moleküle erstmals bis auf fünf Nanokelvin herunterzukühlen. „Es war wirklich eine faszinierende Erfahrung, unsere Ideen für eine solche Mikrowellen-Abschirmung im Labor Wirklichkeit werden zu sehen“, sagt Koautor Tijs Karman von der Radboud Universität im niederländischen Nijmegen.

Kondensat aus 200 Molekülen

Das Wichtigste jedoch: Bei diesen Extremtemperaturen begannen die Moleküle ihre Phasenzustand zu verändern – sie bildeten ein Bose-Einstein-Kondensat. Messungen bestätigten, dass sich im kalten Zentrum der Molekülwolke ein Bose-Einstein-Kondensat aus rund 200 Natrium-Cäsium-Molekülen gebildet hatte. Dieser Zustand blieb mit knapp zwei Sekunden relativ lange erhalten, wie die Physiker berichten.

„Dies ist eine aufregende Errungenschaft, aber erst der Anfang“, sagt Seniorautor Sebastian Will von der Columbia University. Denn mit hunderten von Molekülen in einem identischen internen und dynamischen Zustand sei ein solches Kondensat ein idealer Startpunkt für die Erforschung polarer Quantenmaterie. „Molekulare Bose-Einstein-Kondensate eröffnen ganz neue Bereiche der Forschung, von den fundamentalen Aspekten der Physik bis zu leistungsstarken Quantensimulationen“, erklärt Will.

„Weitreichender Einfluss auf viele wissenschaftliche Fachgebiete“

Ähnlich sieht es auch der nicht an der Studie beteiligte Pionier der Molekülkühlung, Jun Ye vom National Institute of Standards and Technology (NIST) in Boulder. „Diese Arbeit wird weitreichenden Einfluss auf eine ganze Reihe wissenschaftlicher Fachgebiete haben – darunter die Quantenchemie und die Erforschung stark korrelierter Quantenmaterialien“, kommentiert er. Denn die von Will und Kollegen entwickelte Methode ermögliche eine präzise Kontrolle der molekularen Interaktionen in solchen Systemen.

„Indem wir diese polaren Interaktionen kontrollieren, hoffen wir, neue Quantenzustände und Phasen der Materie zu erzeugen“, sagt Koautor Ian Stevenson von der Columbia University. Denkbar wäre beispielsweise die Erzeugung künstlicher Kristalle aus einem in Laserfallen gefangenen Bose-Einstein-Kondensat. Aber auch speziell geformte Molekül-Kondensate wie ein 2D-System seien möglich, so die Physiker. „Uns eröffnet sich hier eine ganz neue Welt der Möglichkeiten“, sagt Will. (Nature, 2024; doi: 10.1038/s41586-024-07492-z)

Quelle: Columbia University

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