Seltsame Abweichungen: Schon seit längerem rätseln Teilchenphysiker über Diskrepanzen bei der Umwandlung von Quarks – ihre Oszillationsraten passen nicht zum Standardmodell. Das könnte auf die Existenz von weiteren, noch unentdeckten Arten dieser Elementarteilchen hindeuten. Jetzt haben Physiker einen für diese Abweichungen wichtigen Parameter beim Isotop Aluminium-26 vermessen – und auch die Quark-Umwandlung überprüft – mit durchaus überraschenden Ergebnissen.
Laut dem Standardmodell der Teilchenphysik gibt es sechs Quarks, die in drei Familien aufgeteilt sind. Die erste Familie bilden die Up- und Down-Quarks, aus denen die Protonen und Neutronen im Atomkern aufgebaut sind. In den beiden restlichen Familien folgen Charm- und Strange-Quarks sowie Top- und Bottom-Quark. Die einzelnen Quark-„Flavours“ unterscheiden sich in ihrer Ladung, Masse und schwachen Wechselwirkung.
Doch das ist nicht alles: Ähnlich wie Neutrinos können die Quarks ihre Natur dynamisch verändern. Unter dem Einfluss der schwachen Kernkraft wandeln sie sich dann in eine andere Quarksorte um. Das passiert beispielsweise beim radioaktiven Betazerfall, wenn sich das Up-Quark eines Protons in ein Down-Quark verwandelt. Als Folge wird das Proton zum Neutron und der Atomkern zerfällt zu einem neuen Element. Das Standardmodell sagt voraus, welche Oszillationen in welchen Anteilen bei jeder Quarksorte vorkommen. Dargestellt wird dies in der 3×3 Felder umfassenden Cabibbo-Kobayashi-Maskawa-Matrix (CKM).
Quark-Umwandlungen passen nicht zur Theorie
Das Merkwürdige jedoch: Eigentlich müsste jede Zeile und Spalte der CKM-Matrix die Summe 1 ergeben – das gibt das Standardmodell vor. Doch das scheint nicht der Fall zu sein. Bisherige Analysen ergaben für die erste Zeile, die Umwandlung von Down-, Strange- und Bottom-Quarks in ein Up-Quark, signifikant von 1 abweichende Ergebnisse. „Es zeigt sich eine deutliche Verschiebung bei der Umwandlung von Down in Up, die zu Spannungen in Bezug auf die CKM-Unitarität führt“, konstatieren Peter Plattner vom CERN und seine Kollegen.
Sollten sich diese Abweichungen bestätigen, könnte dies ein Hinweis auf Lücken im Standardmodell sein – und auf weitere, bisher unentdeckte Quark-Varianten. Theoretisch könnte es dann sogar eine vierte Quarkfamilie geben. Doch bisher sind die Messungen der Quark-Oszillation nicht präzise genug, um Störfaktoren als Ursache der Diskrepanzen auszuschließen. Denn nur ein spezieller, sehr seltener Typ des Betazerfalls, der sogenannte „supererlaubten“ Betazerfall, ist physikalisch simpel genug, um die nötigen Analysen zu ermöglichen.
Messungen am Aluminium-Isotop
An diesem Punkt setzten nun die Experimente von Plattner und seinem Team an: Sie haben die Oszillation vom Down- zum Up-Quark (Vud) so genau gemessen wie nie zuvor. Dafür nutzten sie zwei verschiedene Anlagen und Methoden, um die für diesen Zerfall nötigen angeregten Aluminium-Isotope herzustellen und zu vermessen. Am ISOLDE-Experiment des Forschungszentrums CERN und am IGISOL-Strahlgang in Finnland erzeugten sie dafür zunächst Kerne des Aluminium-Isotops 26Al und dessen angeregten Isomer-Zustands.
Dann ermittelten die Physiker mittels Laserspektroskopie den Ladungsradius dieser angeregten Aluminium-Kerne – einem der für die Messungen der Quark-Umwandlung beim Betazerfall entscheidenden Parameter. „Bisher basierte der Kernladungsradius des Isomers 26mAl nur auf extrapolierten, aber nicht direkt experimentell bestimmten Werten, wie Plattner und sein Team erklären. Diese Unsicherheit hat auch die bisherigen Messungen zur Quark-Oszillation entsprechend beeinträchtigt.
Messwert verringert Diskrepanzen – aber nicht genug
Jetzt ist es den Physikern erstmals gelungen, den Ladungsradius des angeregten Aluminium-26-Kerns experimentell zu bestimmen. Ihre mit zwei verschiedenen Methoden durchgeführten Messungen ergaben für dieses Isotop einen Radius von 3,130 Femtometern. Das Interessante daran: Dieser Wert weicht um 4,5 Standardabweichungen von den bisher extrapolierten Werten ab – der Kernladungsradius dieses Aluminium-26-Isomers ist demnach deutlich größer als gedacht.
Dieses überraschende Ergebnis hat auch Folgen für die Quark-Umwandlung und die CKM-Matrix: Die gemessene Umwandlungsrate für Up- und Down-Quarks rückt durch diese Veränderung ein klein wenig näher an den Sollwert heran. „Dies bringt den Wert für die erste Zeile der CKM-Matrix um rund eine Zehntel Standardabweichung näher an die Unitarität“, berichten Plattner und seine Kollegen. Das reicht allerdings nicht aus, um die Diskrepanzen von ein bis zwei Standardabweichungen zum theoretisch vorgegeben Wert von 1 zu beheben.
Frage nach neuer Physik weiter offen
„Die Suche nach einer neuen Physik jenseits des Standardmodells ist eine Hochpräzisions-Angelegenheit, auch bei den Wahrscheinlichkeiten der Quark-Umwandlungen“, kommentiert der theoretische Physiker Andreas Juttner vom CERN. „Dieses Ergebnis unterstreicht, wie wichtig es ist, alle relevanten theoretischen und experimentellen Parameter auf jede erdenkliche Weise zu überprüfen.“ Ob es daher Teilchen und Kräfte jenseits des Standardmodells gibt, bleibt weiterhin offen – auch im Bezug auf noch unentdeckte Quark-Varianten.
In dieser Hinsicht ist noch einiges zu tun: „Es gibt noch sieben weitere supererlaubte Beta-Emitter, deren Kernladungsradien bisher nicht experimentell bestimmt sind“, berichten Plattner und sein Team. Sie haben bereits damit begonnen, den Wert für eines dieser Isotope, Cobalt-54, an der ISIGOL-Anlage in Finnland zu ermitteln. (Physical Review Letters, 2023; doi: 10.1103/PhysRevLett.131.222502)
Quelle: CERN