Die Gravitation ist die bisher am ungenauesten bestimmte Grundkraft. Jetzt haben Physiker die Gravitationskonstante erstmals mit einer neuen Methode gemessen. Dafür beobachteten sie tief in einer unterirdischen Alpenfestung die Vibrationen eines Detektorstabs, die durch die Gravitationskopplung mit einem zweiten Stab entstehen. Noch ist die Methode nicht präzise genug, um die Konstante zu präzisieren, sie hat aber das Potenzial dazu, wie das Team in „Nature Physics“ berichtet.
Unter den vier Grundkräften ist die Gravitation die geheimnisvollste. Denn diese zwischen Massen wirkende Anziehung ist die einzige, für die bisher kein Vermittlerteilchen gefunden wurde. Zwar lässt sich ihre Wirkung seit Albert Einstein als Krümmung der Raumzeit beschreiben und schon Isaac Newton beschrieb diese Naturkonstante in seinem Gravitationsgesetz. Doch bis heute hat die Wissenschaft Schwierigkeiten, die Gravitationskonstante präzise zu bestimmen.
Schwer zu messen
Das Problem: Die Gravitationskonstante lässt sich nicht aus anderen Einheiten oder Naturkonstanten ableiten – sie muss experimentell ermittelt werden. Weil die Gravitation aber im Nahbereich sehr schwach ist und sich nicht gegen Störeffekte abschirmen lässt, ist dies schwierig. Weil man die Gravitationskraft zwischen zwei Körpern messen, misst man auch die Schwerkraft der Erde und aller anderen Objekte in der Nähe mit. Diese Störeffekte herauszurechnen ist anspruchsvoll und verringert die Präzision.
„Die einzige Möglichkeit diese Situation aufzulösen, besteht darin, die Gravitationskonstante mit möglichst vielen verschiedenen Methoden zu ermitteln“, erklärt Seniorautor Jürg Dual von der ETH Zürich. Bisherige Messungen beruhten oft auf modernen Varianten eines berühmten Experiments des britischen Forschers Henry Cavendish aus dem Jahr 1797. Dabei dienten frei aufgehängte Kugeln als Messmassen.
Per Gravitation übertragene Vibrationen
Eine andere Methode haben nun Dual, sein Kollege Tobias Brack und ihr Team verwendet. Statt die Anziehungskraft zwischen frei hängenden Massen über deren Abstand zu messen, ermitteln sie die Gravitationswirkung über die Übertragung von Vibrationen. Die Forschenden machen sich dabei das gleiche Prinzip zunutze, das auch bei der Messung von Gravitationswellen greift: Wenn Massen beschleunigt werden, geben sie Energie in Form von Gravitationswellen ab, die wiederum andere Massen beeinflussen und ebenfalls in Schwingungen versetzen können.
Für ihr Experiment nutzten die Physiker zwei voneinander isolierte und vibrationsgedämpft aufgestellte Vakuumkammern. In der ersten Kammer ist ein ein Meter langer Wolframstab von rund 3,8 Kilogramm Gewicht mittig an einem Vibrationsgenerator befestigt. Dieser versetzt den rechteckigen Transmitterstab in Schwingungen mit einer Frequenz von 42,6 Hertz. In der Nachbarkammer – vollständig isoliert davon – ist ein zweiter Ein-Meter-Stab aus Titan aufgehängt, der als Detektor fungiert.
Messungen in der Alpenfestung
Der Clou dabei: Die Schwingungen des ersten Stabes erzeugen eine winzige, aber rhythmisch wechselnde Gravitationskraft, die sich auf benachbarte Massen übertragen kann. Weil die Frequenz der Vibration so gewählt wurde, dass sie der Eigenfrequenz des Detektorstabes entspricht, treten in ihm Resonanzeffekte auf. Diese verstärken die gravitativ induzierten Schwingungen des Detektorstabes und machen sie messbar: Auf mehrere Punkte entlang des Stabes fokussierte Laserstrahlen zeigen selbst winzige Bewegungen an.
„Bei solchen dynamischen Messungen spielt es im Gegensatz zu statischen keine Rolle, dass sich die von anderen Körpern wirkende Schwerkraft nicht abschirmen lässt“, erklärt Dual. Wichtiger ist es, möglichst alle Vibrationen durch externe Störeinflüsse fernzuhalten. Dafür wurde das Experiment in der Festung Furggels in den Schweizer Alpen durchgeführt – einem in einem stabilen Felsmassiv und weitab menschengemachter Erschütterungen liegenden Untergrundlabor.
Um jegliche Störungen zu vermeiden, wurde das Experiment zudem von Zürich aus ferngesteuert. Über vier Wochen hinweg wurden die jeweils 50-minütigen Messungen 18-mal wiederholt. Dabei variierten die Forschenden den Abstand der beiden Messbalken, so dass sie damit gleichzeitig auch die Abschwächung der Gravitionskraft mit zunehmender Entfernung mitmessen konnten.
Gravitationskonstante neu gemessen
Im Experiment gelang es dem Team, rhythmische, nur wenige Milliardstel Millimeter starke Auslenkungen des Detektorstabes zu messen. Deren Frequenz und Amplitude entsprach dabei ziemlich genau den theoretischen Vorhersagen von Newtons Gravitationsgesetzen. „Diese gute Übereinstimmung spricht dafür, dass die Detektorbewegung tatsächlich durch Gravitationskopplung und nicht durch andere Effekte wie mechanische oder akustische Übertragung verursacht wurde“, schreiben Brack und seine Kollegen.
Aus dieser Vibration konnten die Physiker dann die Gravitationskonstante ermitteln. Sie kommen auf einen Wert von G= 6,82 x 10-11 Kubikmeter pro Kilogramm und Quadratsekunde. Die Standardabweichung der Messungen lag bei 0,56 Prozent. „Für einen zuverlässigen Wert muss diese Unsicherheit noch deutlich reduziert werden“, betont Dual. Möglicherweise könnte dies auch erklären, warum das Messergebnis um rund 2,2 Prozent über dem offiziellen Wert des Committee on Data for Science and Technology (CODATA) von 6,674 x 10-11 liegt.
„Wir sind bereits daran, Messungen mit einem leicht veränderten Versuchsaufbau durchzuführen, um die Konstante G noch genauer bestimmen zu können“, sagt Dual. (Nature Physics, 2022; doi: 10.1038/s41567-022-01642-8)
Quelle: Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich)