Verblüffender Effekt: Einige gängige Halbleiter verändern je nach Beleuchtung ihre mechanische Festigkeit – sie sind im Dunkeln elastisch, werden aber im Licht steif, wie Experimente enthüllen. Die Ursache dieser photomechanischen Verwandlung haben nun Physiker gefunden. Demnach verändert die Lichteinstrahlung den Energiezustand winziger Fehlstellen im Kristallgitter der Halbleiter. Diese Erkenntnis eröffnete neue Möglichkeiten des Materialdesigns, wie das Team erklärt.
Ob Computer, Solarzellen, Laser oder Sensoren: Halbleiter bilden das Fundament unserer modernen Technologien. Ihre Kristallstruktur und Elementzusammensetzung verleiht ihnen die Fähigkeit, erst auf eine Anregung durch Licht Wärme oder andere Energien leitfähig zu werden. Grund dafür ist ihre Bandlücke – der Abstand zwischen dem Energieniveau der leitfähigen, mobilen Elektronen und den fest gebundenen, unbeweglichen Ladungsträgern.
Vom Keks zum Gummibärchen
Doch bei manchen Halbleitern passiert bei einer Energiezufuhr in Form von Licht mehr als nur eine Leitfähigkeitsänderung. Bereits 2018 bemerkten Forscher beim Halbleiter Zinksulfid auch eine mechanische Veränderung bei Bestrahlung: „Als die Wissenschaftler ihn mit Licht bestrahlten, war er spröde wie ein Keks – er zerbrach sofort“, erinnert sich Seniorautor Rafael Jaramillo vom Massachusetts Institute of Technology (MIT). „Als sie hingegen das Licht ausmachten, wurde der Halbleiter weich wie ein Gummibärchen.“
Aber warum? Um das herauszufinden, haben Jaramillo und sein Team das Experiment mit Einzelkristallen sowie größeren Proben von Zinksulfid, Zinkoxid und Cadmiumsulfid wiederholt. Sie testen das mechanisch-elastische Verhalten dieser Materialien mithilfe der Nanoidentation. Dabei wird eine mikroskopisch kleine Diamantspitze in die Probe gedrückt und gemessen, wie leicht das Material nachgibt und wie stark es sich verformt. Dies testete das Team im Dunkeln und bei unterschiedlich energiereichen Lichtwellenlängen und führte parallel Strukturanalysen durch.
Steifheit verändert sich je nach Wellenlänge
Die Experimente ergaben: Alle drei Halbleiter zeigten die verblüffende, lichtabhängige Wandelbarkeit. „Es ist wirklich überraschen, dass die elastischen Eigenschaften von Halbleitern solche enormen Veränderungen durch Licht durchlaufen können“, sagt Jaramillo. „Die elastische Steifheit von Zinkoxid kann sich beispielsweise unter blauem Licht einer Intensität von 1,4 Milliwatt pro Quadratzentimeter um 40 Prozent erhöhen.“
Wie das Team feststellte, variierte das Ausmaß dieser photoplastischen Reaktion deutlich mit der Energie des zugeführten Lichts: Lag die Wellenlänge nahe oder über dem Energieniveau der Bandlücke des Halbleiters, war der Effekt am größten. Bei geringeren Wellenlängen und Energien nahm der Effekt mit Annäherung an die Bandlücke immer stärker zu, allerdings gab es dabei auch deutliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Proben.
Der Urheber sind die Fehlstellen
Durch mikroskopische Analysen und Modellsimulationen entdeckten die Physiker auch den Grund dafür. Demnach spielen die winzigen Fehlstellen im Kristallgitter der Halbleiter eine entscheidende Rolle für ihre Reaktion auf Licht. „Diese Lücken machten das Material im Dunkeln nachgiebig, weil die Atome dort weiter auseinander stehen“, erklärt Jaramillo. „Das ist ähnlich wie bei einem vollen U-Bahnwagen: Es ist leichter, noch mehr Menschen hinein zu bekommen, wenn es noch Lücken zwischen den Fahrgästen gibt.“
Werden die Halbleiter aber bestrahlt, regt diese Energiezufuhr die Atome im Umfeld der Fehlstellen an und verändert damit ihr Verhalten: Sie stoßen sich gegenseitig stärker ab und „wehren“ sich dadurch stärker gegen elastische Verschiebungen. „Es ist, als wenn die Leute in der U-Bahn plötzlich alle anfangen zu tanzen und ihre Arme weit ausbreiten“, beschreibt Jaramillo den Effekt. Das Material wird dadurch bei Energiezufuhr steifer und spröder.
Neue Möglichkeiten der Anwendung
Nach Ansicht der Wissenschaftler eröffnet das Wissen um diesen photoelastischen Effekt und seine Ursachen nun neue Möglichkeiten des Materialdesigns. „Zu sehen, dass Defekte eine so große Wirkung auf die elastische Reaktion haben, ist sehr überraschend“, sagt Jaramillos Kollege Ju Li. „Das öffnet die Tür zu einer Vielzahl neuer Anwendungen. Computeranalysen könnte uns zudem helfen, noch weitere solche Materialien zu finden.“
Solche Halbleiter könnten künftig gezielt dort eingesetzt werden, wo eine lichtabhängige Änderung der Steifheit nützlich ist. Zudem ließen sich das mechanische Verhalten von Halbleitern durch gezielte Vermehrung oder Verringerung ihrer Fehlstellen in maßgeschneiderter Weise beeinflussen. „Wir haben damit eine neue wissenschaftliche Richtung in einem ansonsten schon gut erforschten Gebiet entdeckt“, sagt Jaramillo. (Physical Review Letters, 2022; doi: 10.1103/PhysRevLett.129.065501)
Quelle: Massachusetts Institute of Technology