Es ist eines der größten Rätsel der Physik: Schon seit fast 100 Jahren versuchen Physiker, Einsteins Definition der Raumzeit mit der Quantenmechanik zu vereinbaren – bisher vergeblich. Jetzt gibt es neue Vorschläge, wie man die Natur der Gravitation und ihre Beziehung zur Quantenphysik überprüfen könnte. Zwei verschiedene Experimente könnten demnach zeigen, ob die Raumzeit gequantelt ist oder den „klassischen“ Gesetzen der Physik gehorcht. Diese Tests mit der nötigen Präzision umzusetzen, ist allerdings eine große Herausforderung.
Albert Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie beschreibt die Gravitation als Krümmung der Raumzeit und revolutionierte damit das Weltbild der Physik. Doch sie macht die Gravitation auch zu einem physikalischen Sonderling: Während die anderen Grundkräfte auf Trägerteilchen beruhen und quantenphysikalischen Gesetzen gehorchen, ist die Gravitation nur über klassische Physik definiert. Ob es ein hinzugehörendes Teilchen gibt, ist ebenso ungeklärt wie die Natur der Raumzeit. Auch Einstein selbst scheiterte daran, die Gravitation mit den anderen Grundkräften in einer Theorie zu vereinen.
Rätsel um die Natur der Raumzeit
„Die Quantentheorie und Einsteins Theorie der Gravitation sind mathematisch nicht kompatibel“, erklärt Jonathan Oppenheim vom University College London. „Umso wichtiger ist es zu versehen, wie sich diese Widersprüche lösen lassen: Muss die Raumzeit gequantelt sein? Sollten wir die Quantentheorie modifizieren? Oder steckt etwas ganz anderes dahinter?“ Zwar versuchen mehrere Modelle, die Gegensätze zu überbrücken, darunter die Schleifen-Quantengravitation, die String-Theorie oder auch die Idee einer superfluiden Raumzeit.
Doch bisher scheiterten alle Annahmen an einem entscheidenden Punkt: Sie können nicht beweisen, ob die Raumzeit gequantelt ist oder nicht. Zwar haben Neutrino-Messungen einige extremere Modellvarianten bereits ausgeschlossen, die Grundfrage bleibt aber unbeantwortet. „Die wichtigste Aufgabe der Physik ist es daher, ein Experiment zu entwickeln, das die Quantennatur der Gravitation testen kann“, erklärt Gavin Morley von der University of Warwick.
Wie interagieren Quanten und Gravitation?
Jetzt haben gleich zwei Physikerteams dazu neue Ideen entwickelt. Beide beruhen auf der Überlegung, dass eine klassische, nicht gequantelte Raumzeit auf spezielle Weise mit quantenphysikalischen Teilchen interagieren müsste. „Eine solche Wechselwirkung von klassischer Umgebung mit Quanten erzeugt einen Trade-Off“, erklärt Oppenheim. Nach diesem müsste die Raumzeit beeinflussen, wie lange Teilchen in quantenphysikalischer Verschränkung und Überlagerung bleiben können.
„Man kann keine Quantensysteme mit langen Kohärenzzeiten haben, ohne dass das klassische System im Gegenzug eine starke Diffusion bekommt“, erklärt Oppenheim. Anders ausgedrückt: Wenn man im All unter dem Einfluss der Gravitation eine relativ stabile Verschränkung erzeugen kann, dann muss die Raumzeit ein bestimmtes Maß an Unberechenbarkeit und damit Fluktuation aufweisen. „Wenn die Raumzeit nicht gequantelt ist, dann muss es zufällige Fluktuationen in ihrer Krümmung geben – und diese kann man experimentell nachweisen“, erklärt Oppenheims Kollege Zachary Weller-Davies vom Perimeter Institute in Kanada.
Der erste Test: Zeitliche Fluktuationen des Gewichts
Konkret schlagen die Physiker zwei Experimente vor. Das erste klingt verblüffend simpel: Man nimmt ein Objekt mit möglichst genau messbarer Masse – beispielsweise die Referenzkugel für das Kilogramm – und bestimmt immer wieder sein Gewicht. Sind die Messungen präzise genug, könnte man feststellen, ob es winzige zeitabhängige Fluktuationen in den Resultaten gibt. Deren Ausmaß könnte verraten, wie stark die Fluktuationen der Raumzeit und damit der Gravitation sind.
Der Haken daran: „Das experimentelle Konzept ist zwar simpel, aber das Wiegen des Testobjekts muss mit extremer Präzision durchgeführt werden“, erklärt Oppenheims Kollege Carlo Sparaciari. Doch es könnte schon erste Hinweise auf erhöhte Fluktuationen der Gravitation geben: „Es ist spannend, dass verschiedene Experimente zur Messung von Newtons Gravitationskonstante G Resultate mit einer relativen Unsicherheit ergeben haben, die um mehr als 5 x 10-4 m3kg-1s-2 voneinander abweichen“, schreiben die Physiker. „Das ist mehr als eine Größenordnung höher als im Durchschnitt.“
Der zweite Test: Verschränkte Mikrodiamanten
Das zweite Experiment soll die andere Seite dieser Wechselwirkung von Raumzeit und Quantenphysik untersuchen: die Kohärenz der Überlagerung. Dabei misst man, wie lange möglichst schwere, dichte Objekte in diesem undefinierten Quantenzustand bleiben können. Ein konkretes Projekt dazu planen Morley und sein Team. In ihrem Experiment sollen zwei Mikrodiamanten im Vakuum in der Schwebe gehalten und in einen Zustand der Verschränkung und Überlagerung gebracht werden.
„Jeder Diamant ist dabei eine Miniversion von Schrödingers Katze„, erklärt Morley. Diese fiktive, in einer Box zusammen mit einem durch radioaktiven Zerfall ausgelösten Vergiftungsmechanismus eingeschlossene Katze diente dem Physiker Erwin Schrödinger als Illustration der Überlagerung: Solange die Box zu ist, weiß man nicht ob die Katze lebendig oder tot ist – auf gleiche Weise ist auch der Quantenzustand eines Teilchens in Überlagerung unbestimmt. „Wenn die Raumzeit gequantelt ist, müssten wir es schaffen, die Minidiamanten miteinander zu verschränken“, sagt Morley.
Ob diese Verschränkung gelingt und wie lange sie erhalten bleibt, könnte verraten, ob die Raumzeit gequantelt ist. Allerdings ist auch hier die praktische Umsetzung nicht einfach: „Wir müssen beispielsweise alle nicht auf die Gravitation zurückgehenden Interaktionen zwischen den beiden Diamantpartikeln eliminieren – was unglaublich schwer ist, weil die Gravitation so schwach wirkt“, erklärt Morleys Kollege von der Yale University.
Schwer umzusetzen, aber wichtig
„Die Natur der Raumzeit mithilfe solcher Experimente zu testen, wird einiges an Aufwand kosten, aber sie haben eine enorme Bedeutung für unser Verständnis der fundamentalen Naturgesetze“, sagt Sougato Bose vom University College London. „Ich denke jedoch, dass diese Experimente bald machbar sein werden. Vielleicht werden wir die Antworten noch innerhalb der nächsten 20 Jahren erhalten.“
Auch Oppenheim und sein Team sind zuversichtlich, dass sich die Wechselwirkung von Raumzeit und Quantenwelt mithilfe solcher Tests untersuchen lassen wird. „Das Faszinierende ist, dass wir ausgehend von sehr allgemeinen Annahmen eine klare Beziehung zwischen zwei messbaren Quantitäten überprüfen können – dem Ausmaß der Raumzeit-Fluktuationen und der Zeit, die zwei verschränkte Objekte an verschiedenen Orten in quantenphysikalischer Überlagerung bleiben können“, sagt Sparaciari. (Nature Communications, 2023; doi: 10.1038/s41467-023-43348-2)
Quelle: University College London, University of Warwick