Turbo für die Quantenforschung: Physiker haben ein KI-System entwickelt, das die Durchführung quantenphysikalischer Experimente erheblich erleichtern könnte. Denn das lernfähige neuronale Netz erspart den Physikern die zeitraubende Feinjustierung und dutzendfache Wiederholung der Experimente, indem es sie in Sekundenbruchteilen virtuell durchspielt. Ersten Tests zufolge kann die künstliche Intelligenz die Einstellungen und Ergebnisse solcher Experimente korrekt vorhersagen.
In vielen quantenphysikalischen Experimenten werden elektromagnetische Felder genutzt, um Teilchen festzuhalten und zu manipulieren. In solchen aus Laserstrahlen, Magnetfeldern oder elektrischen Feldern konstruierten Fallen erforschen Physiker beispielsweise die Reaktion von Atomen auf Licht, die Anregung und den Zerfall von Atomen und Molekülen oder das Verhalten verschränkter Ionen im Quantencomputer.
Aufwendige Vorbereitung und Justierung
Doch die Feinjustierung solcher Experimente ist sehr zeitaufwendig. Bisher sind dafür meist langwierige Versuchsreihen mit zahlreichen Messungen notwendig. „Prinzipiell gibt es zwei unterschiedliche Methoden, dieses Lichtfeld zu steuern“, erklärt Koautor Maximilian Prüfer von der Technischen Universität Wien. „Man kann vorab berechnen, welche Form das Feld haben muss – das gelingt aber nur dann, wenn man alle Details des Experiments, inklusive aller Störeffekte, wirklich ganz genau kennt.“
Die zweite Möglichkeit sind iterative Steuerungsalgorithmen: Dabei führt man nach jedem Änderungsschritt ein neues Experiment durch und nutzt das Ergebnis, um die Anordnung zu optimieren. „Solche Algorithmen sind im Prinzip nur durch die experimentelle Messgenauigkeit beschränkt. Diese wunderbare Eigenschaft hat jedoch einen Preis: Jeder Verbesserungsschritt benötigt einen eigenen Versuch am Experiment.“ erklärt Prüfers Kollege Andreas Deutschmann-Olek. Dadurch können die für solche Versuchsreihen nötigen Messungen Wochen dauern.
Neuronales Netz als Quantenphysiker
Abhilfe könnte nun die künstliche Intelligenz schaffen. Die Physiker um Erstautor Martino Calzavara vom Forschungszentrum Jülich haben ein KI-System entwickelt, das speziell für die Justierung und Durchführung quantenphysikalischer Versuche ausgelegt ist. „Wir haben ein neuronales Netz entwickelt, dessen Struktur genau an die physikalische Aufgabe angepasst ist, die es hier zu lösen gilt“, erklärt Prüfer. „Wir nennen das ein Physik-inspiriertes neuronales Netz.“
Die Physiker trainierten dieses KI-System anschließend mit digitalen Varianten des Experiments auf Basis aller bisherigen Versuchsdaten. Im Laufe der Zeit lernt das neuronale Netz dadurch, welche Änderungen am Experiment sich auf welche Weise auf die Quantenteilchen auswirken – ohne dass ihm die physikalischen Formeln, die diesen Zusammenhang beschreiben, zuvor einprogrammiert wurden. Die künstliche Intelligenz entwickelt dadurch selbständig ein gewisses „Verständnis“ für die Gesetzmäßigkeiten des Experiments.
Algorithmus statt Handarbeit
„Wir konnten zeigen: Die künstliche Intelligenz lernt tatsächlich, das Verhalten des physikalischen Systems korrekt zu imitieren“, sagt Prüfer. Das KI-System benötigt dadurch nach dem Training nur ein geringes Maß an Information, um den Versuchsaufbau und dessen Feinjustierung für das gewünschte Experiment zu ermitteln. Die Algorithmen spielen dabei blitzschnell durch, wie sich verschiedene Änderungen am Experiment in der aktuellen Situation auswirken, ohne dass dafür lange, aufwendige experimentelle Versuchsreihen nötig wären.
Wo man früher vielleicht hundert Experimente gebraucht hätte, bis man die richtigen Einstellungen gefunden hat, reicht heute ein kleiner Bruchteil davon. „Die gesammelte Information aus vergangenen Versuchen wird im neuronalen Netz strukturiert abgelegt und kann so auf neue Situationen übertragen werden“, erklärt Deutschmann-Olek. Damit kann man nun eine Vielzahl von Experimenten durchführen, die bisher nur mit viel größerem Aufwand oder gar nicht möglich gewesen wären.
„Der Einsatz von maschinellem Lernen in der quantenphysikalischen Forschung ist gerade groß im Kommen“, erklärt Prüfer. „Wir hoffen, dass unsere Arbeit auch Einsichten liefert wie ein physikalisches Verständnis zusammen mit den weit entwickelten AI Methoden Experimente verbessern kann.“ (Physical Review Applied, 2023; doi: 10.1103/PhysRevApplied.19.044090)
Quelle: Technische Universität Wien