Physik

Leonardo da Vinci und die Gravitation

Notizen des Genies enthüllen erstaunlich fortgeschrittenes Verständnis der Schwerkraft

Leonardo da Vinci
Leonardo da Vinci erfand nicht nur erstaunlich fortschrittliche Geräte und Experimente, er erkannte auch schon das Wesen der Gravitation. © Janaka Maharage Dharmasena, GeorgiosArt/ Getty images

Seiner Zeit weit voraus: Leonardo da Vinci hatte ein erstaunlich modernes Verständnis der Gravitation. Schon vor mehr als 500 Jahren erkannte er, dass die Schwerkraft einer Beschleunigung entspricht – und erdachte Experimente, um dies zu belegen. Das enthüllen Zeichnungen und Berechnungen da Vincis, die Forscher auf einer Manuskriptseite des Codex Arundel entdeckt haben. Da Vinci versuchte sogar schon, die Gravitationskonstante zu errechnen und lag dabei zu 97 Prozent richtig.

Leonardo da Vinci war ein echtes Universalgenie: Er schuf einzigartige Kunstwerke, erdachte und entwickelte Bauwerke, Maschinen und erstaunlich moderne Fluggeräte und beschäftigte sich mit Mathematik, Medizin und Astronomie. In vielen seiner Ideen war da Vinci seiner Zeit weit voraus, obwohl er nie studiert hatte. Bis heute weckt das umfangreiche, längst noch nicht vollständig erforschte Werk da Vincis Bewunderung und gehört zum kulturellen Welterbe.

Skizzen von da Vinci
Leonardo da Vincis Skizzen zum Schwerkraft-Experiment. © historisch/ Caltech

Zufallsfund in da Vincis Skizzen

Eine bisher unerkannte Leistung da Vincis haben nun Morteza Gharib vom California Institute of Technology und seine Kollegen aufgedeckt – durch Zufall. Eigentlich wollte Gharib für seine Aeronautik-Studenten einige Zeichnungen da Vincis zur Fluiddynamik heraussuchen, als er im Codex Arundel – einer Sammlung von Notizen und Zeichnungen da Vincis aus der Zeit von 1480 bis 1518 – auf eine Reihe von Skizzen stieß, die ihn stutzen ließen.

Da Vinci hatte auf dem Skizzenblatt Gefäße gezeichnet, aus denen runde Partikel in schräger Bahn zu Boden fielen. Dreiecke neben den Teilchen schienen Winkel anzugeben. „Was mich stutzig machte war die Beschriftung ‚Equatione di Moti‘ neben der Hypotenuse eines dieser Dreiecke – einem rechtwinkligen Dreieck“, berichtet Gharib. „Ich fragte mich, was genau Leonardo damit gemeint haben könnte.“ Der Forscher nahm sich daher gemeinsam mit Kollegen den in da Vincis typischer Spiegelschrift verfassten Text auf diesen Skizzenblättern vor.

Gravitation als Form der Beschleunigung

Die Analysen enthüllten Überraschendes: Offenbar entwickelte Leonardo da Vinci schon vor über 500 Jahren Experimente und Überlegungen zur Gravitation, die seiner Zeit weit voraus waren. Denn er erkannte, dass die Schwerkraft einer Form der Beschleunigung entspricht. In seinen Notizen beschrieb da Vinci ein Experiment, mit dem sich dies belegen ließ: Wenn man das in den Skizzen abgebildete Gefäß parallel zum Boden bewegt, während Wasser oder Sand herausrinnen, fallen sie nicht in gleichmäßigem Tempo zu Boden – die Schwerkraft beschleunigt den Fall.

Da Vinci erkannte, dass sich über dieses Experiment auch herausfinden lässt, wie hoch die von der Gravitation verursachte Beschleunigung ist: Wenn man das Gefäß mit genau der Rate beschleunigt, die der Erdbeschleunigung entspricht, müsste die Bewegung des herausrinnenden Sands einem rechtwinkligen Dreieck mit zwei gleichlangen Seiten entsprechen – genau diese Abbildung war es, die Gharib aufgefallen war.

Da Vincis Beschriftung „Equatione di Moti“ bedeutet so viel wie Äquivalenz der Bewegung. „Da Vinci hatte demnach die Äquivalenz der beiden orthogonalen Bewegungen erkannt – eine wird von der Gravitation beeinflusst, die anderem vom Experimentator“, so die Forscher.

Da Vincis Formel lag nur knapp daneben

Das jedoch bedeutet: Leonardo da Vinci hatte schon um 1500 eine wesentliche Eigenschaft der Gravitation verstanden – und sogar versucht, die Erdbeschleunigung zu ermitteln. In seinen darauf aufbauenden mathematischen Berechnungen schaffte es der Renaissance-Autodidakt immerhin, der Gravitationskonstante bis auf 97 Prozent nahezukommen, wie Gharib und seine Kollegen erklären. Die Schwerkraft mathematisch korrekt zu beschreiben gelang erst rund 100 Jahre später, als Galileo Galilei 1604 die Beschleunigung eines fallenden Objekts in einer Formel beschrieb.

Doch auch da Vinci hatte das Prinzip der Schwerkraftwirkung auf fallende Körper verstanden, nutzte aber noch eine falsche Formel. „Er beschrieb die vom fallenden Objekt zurückgelegte Distanz proportional zur Fallzeit statt als proportional zum Quadrat der Fallzeit“, erklärt Koautor Christ Roh von der Cornell University. Damit kam da Vinci aber den realen Zusammenhängen schon relativ nahe. In jedem Fall hatte er erkannt, dass die Schwerkraft fallende Objekte gleichmäßig beschleunigt.

„Seiner Zeit weit voraus“

Anhand von Da Vincis Skizzen haben Gharib und sein Team auch den Grund für dessen Fehlkalkulation ermittelt: Die von ihm abgebildeten Experimente umfassen genau den Zeitabschnitt, in dem seine Formel und die richtige Formel fast die gleichen Ergebnisse liefern. Nach Ansicht der Forscher trugen die beschränkten technischen Möglichkeiten – beispielsweise zur Zeitmessung – dazu bei, dass der geniale Denker und Erfinder nicht auf die richtige Gleichung kam.

„Aber die Tatsache, dass sich da Vinci schon um 1500 mit diesem Problem beschäftigte und so weit kam, demonstriert, wie weit er seiner Zeit voraus war“, sagt Gharib. (Leonardo, 2022; doi: 10.1162/leon_a_02322)

Quelle: California Institute of Technology

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