Spannende Diskrepanz: Schon 2021 gab es erste Hinweise darauf, dass sich das Myon im Magnetfeld anders verhält als es sollte. Das anomale magnetische Moment dieses Elementarteilchen wich vom theoretischen Wert auf Basis des Standardmodells ab. Jetzt haben Physiker des Myon-g-2-Experiments weitere Messungen ausgewertet und diese Abweichung bestätigt. Auch bei größerer Messgenauigkeit bleibt die Diskrepanz bestehen. Dies könnte auf „neue Physik“ in Form noch unbekannter Teilchen oder Kräfte hindeuten – oder auf Fehler in der theoretischen Kalkulation.
Das Myon ist der „schwere Bruder“ des Elektrons – und ein für Physiker besonders spannendes Teilchen. Denn sein Verhalten in Magnetfeldern könnte verraten, ob es noch Teilchen oder Kräfte gibt, die im Standardmodell der Teilchenphysik bisher nicht erfasst sind. Schon 2021 lieferte dazu das Myon-g-2 Experiment in den USA erste Hinweise auf eine Abweichung zur Theorie. Allerdings reichte die Signifikanz von 4,2 Sigma noch nicht für eine Entdeckung und auch die Messunsicherheit war mit 460 Milliardstel noch zu hoch, weil erst sechs Prozent der Messdaten ausgewertet waren.
„Tanz“ mit virtuellen Teilchen
Jetzt haben die Physiker der Myon-g-2-Kollaboration nachgelegt: Sie haben nun rund die Hälfte der im Experiment gemessenen Daten ausgewertet und damit die Messgenauigkeit und Zuverlässigkeit deutlich erhöht. Basis der Messungen ist das magnetische Moment des Myons. Dieser „interne Magnetkompass“ des Teilchens reagiert auf äußere Magnetfelder mit einem Taumeln seiner Achse. Diese Präzession, auch als g-Faktor bezeichnet, wird von Ladung, Masse und Spin des Myons beeinflusst und müsste etwa gleich 2 sein – wenn es keine weiteren Einflüsse gäbe.
Doch die gibt es: Das Myon interagiert mit Quantenfluktuationen, durch die in seinem Umfeld ständig virtuelle Teilchenpaare quasi aus dem Nichts auftauchen und wieder verschwinden. Wie subatomare „Tanzpartner“ greifen diese virtuellen Teilchen nach dem Myon und verändern dadurch auch das magnetische Moment. Der subtile Einfluss dieser subatomaren „Tanzpartner“ führt dazu, dass das magnetische Moment des Myons immer ein wenig von g = 2 abweicht.
Taumelnde Myonen im Beschleunigerring
Wie groß dieses anomale magnetische Moment des Myons ist, lässt sich anhand des physikalischen Standardmodells berechnen. Demnach müsste das magnetische Moment um etwa 0,1 Prozent von 2 abweichen – sofern die Theorien stimmen und vollständig sind. Dies zu überprüfen, ist das Ziel des Myon-g-2-Experiments am Fermi National Accelerator Laboratory (Fermilab) in den USA. Dort wird ein Myonenstrahl in einem gut 14 Meter großen Beschleunigerring bis fast auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und dabei wechselnden Magnetfeldern ausgesetzt.
Mithilfe von Detektoren im Ring messen die Physiker dabei, wie diese Magnetfelder die Präzession des magnetischen Moments der Myonen verändern. Je genauer die Bewegungen dieser „Kompassnadeln“ und die Stärke des äußeren Magnetfelds gemessen werden, desto präziser ist die Messung. Jetzt haben Physiker die ersten drei Jahre ihrer Messungen ausgewertet haben – dies entspricht den Daten von mehr als 40 Milliarden Myonen.
Diskrepanz bestätigt
Das Resultat: Das anomale magnetische Moment des Myons hat einen Wert von g-2 = 0.00233184110 ± 0.00000000043 (stat.) ± 0.00000000019 (syst.). Dies bestätigt, dass sich das Myon tatsächlich leicht anders verhält als auf Basis des Standardmodells zu erwarten wäre. „Der neue Wert untermauert das erste Ergebnis, das wir im April 2021 bekannt gegeben haben. Er bringt die Teilchenphysik näher an den ultimativen Showdown zwischen Theorie und Experiment, der neue Teilchen oder Kräfte aufdecken könnte“, sagt der an den Analysen beteiligte Physiker Martin Fertl von der Universität Mainz.
Gleichzeitig hat der Wert die Messunsicherheit auf rund die Hälfte verringert. Sie liegt nun bei nur noch rund 200 Milliardstel. „Wir haben das magnetische Moment des Myons genauer bestimmt als jemals zuvor“, sagt Brendan Casey vom Fermilab. „Damit erkunden wir neues Terrain.“ Während die systematische Unsicherheit bereits unter dem gesteckten Ziel liegt, wird die statistische Unsicherheit durch die Menge der analysierten Daten bestimmt. Sie wird daher weiter sinken, wenn die Physiker alle in den sechs Jahren Laufzeit des Experiments gesammelten Daten ausgewertet haben.
Es bleibt spannend
Bis zum Jahr 2025, so das Ziel der Myon-2-g-Kollaboration, soll die Analyse abgeschlossen sein. Zugleich wollen theoretische Physiker im Rahmen der „Myon g-2 Theory Initiative“ auch die Berechnungen auf Basis des Standardmodells weiter verbessern. Denn auch bei den theoretischen Werten gibt es Diskrepanzen. Ein kürzlich mithilfe der Gittereichtheorie ermittelter Wert weicht von dem erst 2020 mit gängigen Methoden aufgestellten Theoriewert ab und scheint besser zu den experimentellen Ergebnissen zu passen. Die „Myon g-2 Theory Initiative“ strebt daher an, in den nächsten Jahren eine neue, verbesserte Vorhersage zu erstellen, die beide theoretischen Ansätze berücksichtigt.
„Aus vielen Gründen sind wir sicher, dass unser derzeitiges Verständnis der Physik unvollständig ist. Es könnten zusätzliche Teilchen oder verborgene subatomare Kräfte existieren“, sagt Dominik Stöckinger von der Universität Mainz. Aber auch die theoretische Seite des bestehenden Modells ist möglicherweise weniger gut erfasst als bisher angenommen. (Physical Review Letters, accepted)
Quelle: Muon g-2 Collaboration, Fermi National Accelerator Laboratory, Technische Universität Dresden, Johannes Gutenberg-Universität Mainz