Extreme Ionen für präzise Messungen: Physiker haben erstmals einen neuen Typ optischer Atomuhren konstruiert und getestet – eine Atomuhr auf Basis von hochgradig geladenen Ionen. Grundlage der Uhr bilden die Zustandswechsel eines 13-fach positiv geladenen Argon-Ions. Weil solchen Ionen ein Großteil ihrer Außenelektronen fehlt, sind sie weniger anfällig für äußere Störungen. Gleichzeitig ist die Messunsicherheit ähnlich gering wie bei gängigen optischen Atomuhren, wie die Forscher in „Nature“ berichten.
Wenn es um die Zeitmessung geht, sind optische Atomuhren heute das Maß der Dinge: Sie geben den Takt der Weltzeit vor und erlauben die Überprüfung fundamentaler physikalischer Konstanten. Messgrundlage dieser Uhren ist die Frequenz der Strahlung, bei der ultrakalte Wolken aus Atomen oder schwach geladenen Ionen ihren Anregungszustand wechseln. Optische Atomuhren auf Ytterbium- oder Strontium-Basis sind inzwischen so genau, dass sie seit Anfang des Universums nicht einmal eine Sekunde falsch gehen würden. Eine jüngst vorgestellte Uhr mit verschränkten Atomen geht sogar noch genauer.
Elektronenarme Ionen statt Atome
Allerdings haben die gängigen optischen Atomuhren einen Nachteil: Die eingesetzten Atome und einfach geladenen Ionen sind sehr störanfällig. Schon schwache elektromagnetische Felder können ihren Zustand beeinflussen und sie aus dem Takt bringen. Deshalb versuchen Physiker schon seit einigen Jahren, einen neuen Typ von optischen Atomuhren zu konstruieren: Atomuhren mit hochgradig geladenen Ionen. Solche Ionen haben einen Großteil ihrer Außenelektronen verloren und sind daher mehrfach positiv geladen.
Weil die verbliebenen Elektronen besonders stark an den Atomkern gebunden sind, reagieren solche Ionen weniger anfällig auf äußere Störeinflüsse. Gleichzeitig sind ihre Anregungszustände und Feinstruktur besser definiert und leichter messbar. „All das macht hochgradig geladene Ionen zu sensitiven Messwerkzeugen für Atomuhren und die Überprüfung fundamentaler physikalischer Theorien“, erklären Steven King von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig und seine Kollegen.
13-fach positiv geladene Argon-Ionen als Basis
Jetzt ist es dem Team im King erstmals gelungen, eine optische Atomuhr auf Basis solcher hochgradig geladener Ionen praktisch umzusetzen. Dank neuer, erst in den letzten Jahren entwickelter Technologien konnte sie bisherige Hindernisse bei der Kühlung und Messung solcher Ionen überwinden. Denn aufgrund ihrer extremen Atomstruktur kann man hochgeladene Ionen nicht wie üblich direkt mit Laserlicht kühlen und auch übliche Detektionsverfahren sind nicht anwendbar.
Basis der neuen Atomuhr bilden Argon-Atome, denen 13 Elektronen aus der Hülle entfernt wurden. Diese 13-fach positiv geladenen Ionen werden zunächst bis auf vier Kelvin heruntergekühlt und in einer Magnetfalle in der Schwebe gehalten. In dieser sogenannten Pauli-Falle wird jeweils eines dieser Ionen mit einem einfach geladenen Beryllium-Ionen kombiniert. Dies ermöglicht eine Laserkühlung bis hinunter auf nur noch 200 Millionstel Kelvin.
Zeitmessung mit hoher Präzision
Für die eigentliche Zeitmessung beschossen die Physiker die ultrakalten Argon-Ionen mit einem Laserpuls von 441 Nanometer Wellenlänge. Dies bewirkt eine Änderung des Anregungszustands der Ionen und erlaubt es gleichzeitig, diesen Wechsel anhand der spektroskopisch messbaren Veränderungen beim Beryllium-Ionen zu detektieren. Insgesamt führten King und seine Kollegen über mehrere Tage hinweg Messungen von insgesamt 150.000 Sekunden mit ihren Testuhren durch.
Das Ergebnis: Die neuartige Atomuhr „tickte“ mit hoher und messbarer Präzision. Ihre systematische Messunsicherheit liegt bei nur 2,2 x 10-17 und damit im Bereich der bisher genauesten optischen Atomuhren. Die Unsicherheiten bei der Frequenz des Zustandswechsels gehören sogar zu den genauesten jemals gemessenen, wie das Team berichtet. Damit könnten solche Atomuhren mit hochgradig geladenen Ionen eine ernsthafte Konkurrenz zu gängigen optischen Atomuhren auf der Basis von Ytterbium-Ionen oder Strontium-Atomen werden.
Auch für Teilchenfahndung und Physikgrundlagen einsetzbar
Interessant auch: Schon der Prototyp der neuartigen Atomuhr war sensitiv genug, um grundlegende physikalische Theorien zu überprüfen. „Wir konnten den quantenelektrodynamischen Kernrückstoß, eine wichtige theoretische Vorhersage, in einem Fünf-Elektronen-System nachweisen, was zuvor in keinem anderen Experiment gelungen ist“, berichtet Koautor Lukas Spieß von der PTB. Die theoretischen Werte für dieses Verhalten des Atomkerns konnten so um den Faktor drei präzisiert werden.
Nach Ansicht der Physiker eröffnen optische Atomuhren auf Basis hochgradig geladener Ionen vielversprechende Möglichkeiten, fundamentale physikalische Konstanten und Phänomene besser zu erforschen als zuvor. So eignen sich einige solcher Ionen als Messwerkzeuge für Änderungen der Feinstrukturkonstante und sogar die lange gesuchten Teilchen der Dunklen Materie könnten möglicherweise mithilfe solcher Uhren aufgespürt werden. (Nature, 2022; doi: 10.1038/s41586-022-05245-4)
Quelle: Nature, Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB)